Die erste Ausstellung nach der Brandklappen-Posse zeigt die Wandmalereien des Künstlers David Tremlett in der Galerie der Gegenwart.

Hamburg. Eigentlich ein ganz normaler Termin, der 24. Juni 2010. Schon lange war für diesen Tag die Eröffnung der David-Tremlett-Ausstellung in der Galerie der Gegenwart geplant. Und so ist es auch gekommen. Globetrotter David Tremlett, bekannt für seine großflächigen Wandzeichnungen, verwandelte unter dem Titel "Drawing Rooms" das dritte Geschoss in eine Abfolge von atmosphärisch dichten Farbräumen. Kreise, Linien, Felder oder Buchstaben-Mixturen machen vergessen, dass in den nackten Räumen eigentlich nur das Quadrat ihres Architekten dominiert. Aber sie machen auch vergessen, dass die Ausstellung bereits vertagt war. Wegen Brandschutzklappen, hanseatisches Synonym für einen finanziellen Brandherd zwischen Kunsthalle und Kulturbehörde.

Immerhin, dieser Brandherd konnte eingedämmt und die Ausstellung nun planmäßig eröffnet werden. Überprüfung und Wartung der Klappen - unsichtbar für den Besucher - stören den Betrieb nicht mehr. Die Posse um die ominöse Schließung der Galerie der Gegenwart hat ihr vorläufiges Ende gefunden. Weiterhin ungeklärt aber bleibt die Frage nach der beruflichen Zukunft Hubertus Gaßners. Der Direktor der Kunsthalle wehrt sich, künftig als bloßer Geschäftsführer zu agieren - mit der Vorgabe, Kosten in Höhe von 20 Prozent des Personalaufwands einzusparen. Hier bedarf der Brandherd noch einiges an Wartung, diesmal seitens der Finanzbehörde. Sonst könnte schwarzer statt weißer Rauch bei der Entscheidung über die Zukunft kompetenter Leitung der Kunsthalle entweichen.

Für den Briten David Tremlett dürften Schwelbrände wie diese kaum ins Gewicht fallen. Er weiß seit nunmehr 40 Jahren, wie man mittellos anfängt, sich auf ein wenig Kreide oder anderes Material besinnt, um damit zu zeichnen, auf Wänden in Pastell, allein mit der Hand, später wie auch jetzt in Hamburg mit der Hilfe von Assistenten. Tremlett ist Dauer-Reisender, einer, der die Kulturlandschaften dieser Welt aufsucht, die ruinösen Gemäuer kleiner Hütten, ebenso die mondänen Villen, Kapellen und repräsentativen Gebäude. Auf ihren Mauern und Wänden hinterlässt er Spuren seiner künstlerischen Eingriffe. Tremlett assoziiert vor Ort und skizziert, was ihm ins Auge fällt. In Australien etwa, wo ihm Wege und Pfade ins Blickfeld gerieten, von Wildwechseln bis Pisten, resultierte aus dieser Beobachtung der Entwurf von Linien. In Hamburg zeigen jetzt hochformatige, übereinandergelappte Rechtecke Reminiszenzen an Container im Hafen. Andere Arbeiten in Anspielung auf Kreuzworträtsel entstehen aus seiner Beschäftigung mit Autoren, zum Beispiel mit Bruce Chatwin, wie Tremlett Weltreisender und mit ihm zeit seines Lebens bekannt.

Tremletts Wandzeichnungen allerdings auf die Umsetzung vorgefundener Strukturen zu reduzieren würde seiner Arbeit nicht gerecht werden. Mehr als nur zu abstrahieren, versucht sich der Künstler in Maße, Proportionen, Raumverhältnisse einzufühlen. In der so stark auf das Quadrat ausgerichteten Galerie der Gegenwart gelingen ihm dabei manchmal erstaunliche Umwandlungen. Räume öffnen sich und beginnen eine Art Eigenleben zu führen. Aber vielleicht ist es auch nur das dominante Schwarz-Rot-Goldgelb, das in diesen Tagen für entsprechend lebhafte Eindrücke sorgt.

Wie für englische Kunst schon immer eigentümlich, zählt auch bei Tremlett allein die Oberfläche. Hinter Wand oder Mauer ist alles Leere. Nur was sich auf ihnen abspielt, hat Bedeutung. Ein ambivalentes Spiel aus gediegenen, wegen ihrer Stumpfheit "historisch" wirkenden Farben und der Flüchtigkeit der Zeichnung beginnt. Zahlreiche von Tremletts Zeichnungen, auch die in der Kunsthalle, verschwinden nach Ende der Ausstellung. Tremletts Zeitgenossenschaft siedelt genau in diesem Umbruch aus dem Eindruck schwerer Gewichtigkeit von Historie und Tradition einerseits und dem Verschwinden der reinen Farbform andererseits. Seine Kunst wirkt wie die adäquate Umsetzung vom Ende der Historie, mit dem süßen Beigeschmack der Melancholie.

Allein seine aufwendige manuelle Arbeit, bisweilen arbeitete sein Team an sieben Tagen in der Woche, spricht von Wehmut und Sehnsucht nach authentischer Identität, wo sich alles noch per Hand und in Verwurzelung mit der Heimat vollzog - so jedenfalls die Sicht romantischer Verklärung. Aber es gibt manchmal auch sehr einfache Erklärungen für Tremletts Material: seine bis heute anhaltende Vorliebe für einfache, unprätentiöse Stoffe. Das brachte ihn jetzt dazu, einen Motorenschmierstoff zu verwenden. In dunklem Grün wird er von den Wänden getragen und erinnert gleichzeitig an Tremletts Frühzeit, als er seinen Unterhalt mit der Reparatur Londoner Taxis verdingte.

David Tremlett, wie Richard Long, Hamish Fulton oder Gilbert & George in England erster Künstler dieser Generation, ist in Hamburg kein Unbekannter. Eric Berganus, erster Direktor der Deichtorhallen, lud ihn bereits in den 70er-Jahren nach Hamburg zum Zeichnen ein. Und seit Jahren vertreten die Hamburger Galeristen Ulrich Dörrie und Holger Priess den Briten in ihrer Galerie. Aktuell zeigen sie, parallel zur "großen" Ausstellung und noch bis Oktober, Tremletts "Ideas on Paper".

Galerie der Gegenwart , bis 31. Oktober: "David Tremlett. Drawing Rooms". Am 1. September, 19 Uhr, spricht Tremlett zum Thema "If walls could talk"