Müllmänner beteiligten sich an einem außergewöhnlichen Projekt: Mit einer Lochkamera bewaffnet, hielten sie Hamburg fest.

Hamburg. Die Methode "Lochkamera" ist ein alter Hut. Neu ist aber, dass sich Müllmänner der Camera Obscura bemächtigen, um ihrer Heimatstadt fotografische Denkmäler zu setzen. In Hamburg ist genau das geschehen: Hier haben sich elf Mitarbeiter der Stadtreinigung vor einigen Wochen wieder einmal auf die Straßen der Stadt begeben. Auf jene Straßen, in denen sie Tag für Tag den Müll abholen und mit ihrer Hände Arbeit dafür sorgen, dass Hamburgs Müll nicht anarchisch und fröhlich sein Dasein in den Quartieren und dazugehörigen Haushalten fristet. Die starken Männer mit den kräftigen Armen und noch kräftigeren Stimmen sind Inbegriffe des schuftenden Arbeiters, und ihre orangefarbenen Klamotten leuchten von Weitem.

Die derzeit in der Axel-Springer-Passage zu sehenden Fotos sind schwarz-weiß. Sie zeigen Hamburg so, als wäre es der Zeit enthoben. Das Rathaus sieht auf einer Schwarz-Weiß-Fotografie noch mehr aus wie der Klassiker, der es ja auch ist. Und das Wasserschlösschen oder der Eingang des Doms muten dank der monochromen Ästhetik anders an: alt, halt irgendwie auch verlassen nicht nur von der Gegenwart, sondern auch von den Menschen.

Was auch daran liegt, dass die Aufnahmen in den frühen Morgenstunden entstanden sind. Die Fotos zeigen die dingliche Welt, Gesichter sucht man hier vergebens. Die Fotos haben alle eine Vignette, eine Art feierlichen Rand, der durch die lange Belichtung entsteht.

Und diese künstlerisch wertvollen Bilder sollen nun die Männer gemacht haben, die unseren Müll abholen?

Genau so ist es. Fast zumindest. Denn eigentlich haben die Jungs von der Müllabfuhr das gemacht, was sie immer tun. Sie haben eine Mülltonne bewegt, eine ganz bestimmte: Nämlich die, die zu einer Lochkamera umgebaut worden ist. Die Mülltonne, versehen mit einem kleinen Loch, ist eine wunderbare dunkle Zelle, und wenn auf der dem Loch gegenüber liegenden Seite Fotopapier angebracht wird, ist die einfachste Kamera der Welt fertig: Das Bild, das durch das Loch fällt, wird auf die Papierfläche projiziert. Diese Kamera ist ein klobiges Gerät, eine dicke 1100-Liter-Tonne. Die Belichtungsdauer ermittelten die Fotografen mit dem Belichtungsmesser, den man heutzutage praktischerweise als App auf das iPhone laden kann. Etwas weniger praktisch war das andere Prozedere. "Als Dunkelkammer diente uns ein Sprinter", sagt Hans-Dieter Braatz, 59, einer der elf Fotokünstler; er meint den Kleinlaster, mit dem die nur auf den ersten Blick seltsame Fotocrew auf visuelle Hamburg-Tour ging.

+++ Der Tonnograf +++

Viele der bei der Stadtreinigung beschäftigten Männer (um der Wahrheit Genüge zu tun - es war auch eine Frau dabei) sind leidenschaftliche Hobbyfotografen. Vielleicht brachte das die Hamburger Stadtreinigung auf die durchaus famos zu nennende Idee, das Projekt "Fotos aus der Tonne" anzugehen. Die Aktion ist ja eine Gelegenheit, das Image der Müllmänner etwas zu verbessern. Sie gelten vielen als schlichte Geister - warum eigentlich?

In Zusammenarbeit mit der Agentur Scholz & Friends entwarf die Stadtreinigung eine Kampagne, die die feinsinnige Seite ihrer Mitarbeiter zeigt. Die Bilderserie zeigt Aufnahmen aus der HafenCity, von den Landungsbrücken und der Horner Trabrennbahn. Sie sind im Internet schon länger fleißig herumgeschickt worden, besonders seit die von Scholz & Friends in typischer Werbermanier "Tonnografie" genannte Unternehmung ein richtiger Coup wurde: Beim Werbefestival in Cannes wurden die Fotos aus der Tonne ausgezeichnet. Die Kampagne ist ein durchschlagender Erfolg.

Und hat bis zum 15. Juli einen festen Platz in der Axel-Springer-Passage. Dort werden die 20 besten Fotos gezeigt. Fotos, die sehr schön sind.

Wie die Aufnahme vom Planetarium im Stadtpark: Der Ort sieht fast aus wie eine Märchenlandschaft. Und die engen Kramer Amtsstuben, wie sie der Kehrmaschinenfahrer Werner Bünning aufgenommen hat, fänden in jedem edlen Coffeetable-Folianten Platz. Was man mit Fotoapparaten, die doch eigentlich Mülltonnen sind, alles anfangen kann.

Die Ausstellung "Tonnografie" ist bis zum 15. Juli in der Axel-Springer-Passage (Caffamacherreihe) zu sehen. Außerdem im Internet unter www.abendblatt.de/muellabfuhr