Als Mélissa Petit nach Hamburg kam, war sie für viele “das Baby“. Nun singt sie ihre erste Hauptrolle in “Die unglückselige Cleopatra“

Hamburg. Es gibt Menschen, die müssen nicht erst in einen Kessel mit Zaubertrank fallen wie damals Obelix, dieser weltberühmte Lieferant von Hinkelsteinen in den weltberühmten Asterix-Comics. Die haben die Nase auch einfach so vorn, wenn Talent und andere gute Gaben verteilt werden. So wie Mélissa Laura Petit, Youngster der Hamburgischen Staatsoper, die am Sonnabend in der Opera Stabile ihre erste Hauptrolle singt: die ägyptische Königin in Johann Matthesons Barockoper "Die unglückselige Cleopatra" aus dem Jahr 1704.

21 Jahre ist Mélissa Petit jung, geboren in St. Raphael an der Côte d'Azur. Andere stecken da noch voll im Studium. Doch wenn man sie hört und sieht, wird schnell klar: Ihr wurde manches in die Wiege gelegt, wofür andere hart arbeiten müssen. Die junge Französin hat eine kräftige, sehr klare und sehr präsente Sopranstimme, die mühelos und ohne hörbare Übergänge durch alle Register klettern kann, die über viele Klangfarben verfügt und auch mit den virtuosen barocken Auszierungen keine Probleme hat. Dieser Sopran hat viele Facetten, auch unendlich zarte, und ist mit großem dramatischen Potenzial ausgestattet, das Mélissa Petit in derbarocken Rolle aufblitzen lässt, oft aber auch klug zügelt.

Dabei hat sie relativ spät mit dem Singen begonnen. Mit zwölf Jahren wurde ihre Stimme entdeckt, mit 14 fand sie in St. Raphael am Konservatorium ihre bis heute einzige Lehrerin: die Armenierin Fabienne Chanoyan. Mit ihr studierte sie erste Opernrollen, hatte Auftritte als Solistin in Chorkonzerten, lernte auch, armenische Musik zu singen. Mit 19 studierte sie Musikwissenschaft an der Universität in Nizza.

"Das hab ich alles gemacht, ohne davon zu träumen, mal Opernsängerin zu werden", sagt Mélissa Petit. Und muss ein wenig lächeln. "Damals ging's um Spaß und Boys, wie junge Leute eben so sind." Spielerisch erreichte sie 2008 das Finale des Opernwettbewerbs von Béziers; im November 2009 fuhr sie mit ihren Eltern nach Rom zum Internationalen Gesangswettbewerb für Geistliche Musik, ersang sich den zweiten Preis. Ein Agent nahm das Supertalent unter seine Fittiche. Und sie dachte: "Vielleicht hab ich wirklichTalent und sollte das ausprobieren." Der Mann empfahl sie der Hamburger Intendantin Simone Young für das Internationale Opernstudio.

Nur ein einziges Mal musste Mélissa Petit im März 2010 auf der großen Hamburger Bühne vorsingen - eine Arie aus Rossinis "Barbiere di Siviglia", eine aus Meyerbeers "L'Africaine"."Direkt danach hat mich Simone Young gefragt, ob ich ins Opernstudio kommen will." Natürlich wollte sie. Die Opernchefin erinnert sich: "Mélissa Petits schöne, klare und ausdrucksstarke Stimme hat uns alle sofort beeindruckt."

Im Opernstudio ist sie sofort in den professionellen Betrieb eingebunden. "Klar, am Anfang war ich für viele erst mal das Baby. 20 Jahre, mein Gott - wie süß!" Auch das Wort "Kindergarten" ist mal gefallen, ohne dass sie verrät, wer es gesagt hat. "Jetzt wissen die, was ich kann." Erst waren es kleine Rollen: die Papagena in der "Zauberflöte", die Barbarina in "Le Nozze di Figaro", das Taumännchen in "Hänsel und Gretel", Blumenmädchen und Knappe im "Parsifal", die Frasquita in "Carmen" etwa.Simone Young sagt: "Ihre künstlerische Entwicklung im Internationalen Opernstudio finde ich sehr erfreulich, sie hat alle Erwartungen erfüllt." Gerade gab sie Mélissa Petit grünes Licht für ein drittes Jahr in Hamburg.

Wenn Petit heute Kollegen hört, passiert es ihr nicht mehr oft, dass sie denkt: "Oh Gott, die sind so gut und ich noch lange nicht." Ihre Lehrerin hat sie immer wieder aus den Wolken zurückgeholt, hat gelobt, aber auch gezeigt, woran sie noch arbeiten muss. An den riesigen Zuschauerraum hat sie sich gewöhnt: "Da schaut man ja nur ins Schwarze." Auch ans Lampenfieber. "Das ist ja eher Anspannung, die löst sich, wenn ich hinausgehe und singe."

Woher nimmt sie dieses Selbstbewusstsein? "Weiß nicht. Auf der Bühne stehen und singen, das kommt direkt vom Körper. Wenn da jemand unsicher ist, sieht man das direkt, das wäre schrecklich." Ihr Vater war Schauspieler und Schauspiellehrer, das hat abgefärbt. Eben ein lebhafter Fast-noch-Teenager, unterstreicht sie - als sie über Cleopatra spricht - ihren Satz mit einer so königlichen Handbewegung, dass ägyptischen Sklaven ein Schauder über den Rücken laufen würde. Cleopatra? "Meine Stimme passt da super, das ist sehr bequem, für mich perfekt."

Bei so viel Naturtalent, gibt es da nicht manchmal Neid? "Den gibt es doch an jedem Opernhaus", lacht Mélissa Petit. "Aber das ist nicht böse, da steckt ja auch Bewunderung drin." Man spürt: Da ist jemand auf der Überholspur der Karriere-Autobahn angekommen. Ihr Ziel? Alles ist möglich. Das Studium hat sie aufgegeben. "Was ich lernen muss, kann ich auch dann lernen, wenn ich es wirklich brauche." Sie lernt lieber von Kollegen, die sie verstehen und mit denen sie ihre Sicht der Opernwelt teilen kann. Von Gabriele Rossmanith zum Beispiel, die seit 1988 an der Staatsoper singt. "Sie ist sehroffen und ein Vorbild für mich."

Zu gern würde Mélissa Petit in Hamburg bleiben. Aber sie weiß längst: Opernsängerin heißt, flexibel zu sein. In der neuen Saison gibt es neue Rollen, vor allem auf die Clorinda in Rossinis "Cenerentola" freut sie sich. "Und dann kommen viele Auditions. Mal schauen, wer mich engagieren will."