Für Freunde des Tanzes: Der Film “Tanzträume“ gibt Einblicke ins Entstehen einer Choreografie und die Geduldsarbeit mit Jugendlichen.

Joy will sich selbst etwas beweisen. "Ich hab noch nie getanzt", sagt das bildhübsche Mädchen mit den langen blonden Haaren. In ihrem Film "Tanzträume - Jugendliche tanzen ,Kontakthof'" dokumentieren Anne Linsel und Rainer Hoffmann den Probenprozess von Pina Bauschs Signaturstück "Kontakthof" mit Jugendlichen ab 14 Jahren. Die Aufführung hatte 2008 Premiere im Wuppertaler Schauspielhaus und eröffnete nach Tourneen in Frankreich letztes Jahr das Internationale Sommerfestival auf Kampnagel.

Der Blick hinter die Kulissen zeigt die Geduldsarbeit der beiden Bausch-Protagonistinnen Josephine Anne Endicott und Bénédicte Billiet. Und verfolgt einfühlsam das Entstehen einer Choreografie: vom ersten Gehenlernen über den Austausch von hautnahen Zärtlichkeiten bis zum "Auszieh-Duo" oder einem solistischen Alleingang.

Den probiert Joy. "Du musst einen Focus haben", korrigiert Endicott. "Ich weiß nicht, ob ich das schaffe", zweifelt Joy. Aber sie hat es mit der unnachgiebigen und doch liebevollen Hilfe ihrer Lehrerin geschafft, hat sich mit ihrem Auftritt souverän ins Zentrum gespielt.

Geht es nicht ums Spielen mit einem Fußball, sondern ums Tanzen auf der Bühne, ist es immer schwierig, Jungen dafür zu begeistern. Das ist nichts für mich, dachte einer und ging erst gar nicht zum ersten Treffen. Zufällig sah er "Billy Elliott" im Fernsehen, überlegte es sich anders und sagt jetzt: "Ich habe Glück gehabt, dass ich hier bin." Der Name Pina Bausch sagte ihm wie den meisten anfangs nichts. Nun sind alle von der Choreografin begeistert, die auch in einem letzten Interview vor ihrem Tod 2009 zu sehen ist.

Mit 150 Jugendlichen begannen Endicott und ihre Kollegin im Herbst 2007 zu arbeiten, etwa ein Drittel ist geblieben. "Die eineinhalb Jahre waren wirklich keine einfache Zeit, aber auch eine tolle und unvergessliche Erfahrung für uns alle", schwärmt die Probenleiterin. Die Bausch-Protagonistin kennt "Kontakthof" auswendig, sie hat nicht nur die Frau in Rot in der Uraufführung 1978 getanzt, sondern 1999 auch die "Rentner-Version" einstudiert.

Auch wenn das Stück dasselbe bleibt, verändert es mit den Darstellern seine Aussage: "Stellt man alte und junge Menschen auf die Bühne, ist das doch ein Riesenunterschied. Die einen haben Falten und viel Lebenserfahrung, die anderen kennen das Leben auf ihre Weise, haben aber noch nicht so viel Liebeserfahrung."

Und sie waren noch so schüchtern, registrierte Endicott entzückt. "Die Jungs sogar mehr noch als die Mädchen." Beim Probieren einer Szene, in der Zärtlichkeiten in Aggression umkippen sollen, reagierten sie geniert und gehemmt. "Die Farbe Rot hörte nicht auf, in die Gesichter zu steigen", notierte Endicott in ihrem Probentagebuch "Pinas neuer Wunsch". "Den Partner, sie oder ihn richtig anzupacken, keine Angst zu haben, ins Kinn zu beißen, zu hauen, zu kratzen, am Ohrläppchen zu drehen, zu schubsen, zwicken oder an den Haaren zu ziehen, das wird seine Zeit noch brauchen."

Aber sie forderte die Schüler heraus, auch mal über den eigenen Schatten zu springen. "Anfangs waren sie noch 13, 14 oder 15 Jahre alt und wollten den oder die nicht anfassen", berichtet Endicott. "Unterdessen sind sie älter geworden, haben Erfahrungen und Freunde gewonnen oder sind frisch verliebt." Der Film "Tanzträume" zeigt auch die Entwicklung der jungen Menschen. Die Probenmonate waren für sie nicht nur eine Übung in Disziplin, Konzentration und Kommunikation, sondern ein Lernen fürs Leben.

"Tanzträume - Jugendliche tanzen 'Kontakthof'" heute, 20.15, Arte