Peter Tamm war 1948 der Jüngste im Redaktionsteam des Abendblatts von Zeitungsgründer Axel Springer. Schifffahrtsexperte erinnert sich.

Hamburg. Der Verleger Axel Springer, am 2. Mai vor 100 Jahren in Altona geboren, hatte sich mit der Gründung des Abendblatts einen Herzenswunsch erfüllt: eine Zeitung für seine Heimatstadt, unabhängig, überparteilich. Damals, 1948, gab es nur Parteizeitungen in Hamburg. Zum jungen Redaktionsteam des 36 Jahre alten Verlegers gehörte Peter Tamm, mit 20 Jahren der Jüngste. Er schrieb über Schiffe und den Hafen. Der Beginn einer außergewöhnlichen Karriere. Jahrzehntelang bestimmte Tamm die Geschicke des Verlags, zuletzt als Vorstandsvorsitzender und Alleinvorstand. Im Abendblatt erinnert er sich.

Hamburger Abendblatt: Herr Prof. Tamm, können Sie sich an Ihre allererste Begegnung mit Axel Springer erinnern?

Peter Tamm: Das war im Herbst 1948. Wir trafen uns einige Tage vor dem Erscheinen der ersten Ausgabe des Hamburger Abendblatts, bei dem ich über Schifffahrtsthemen schreiben sollte, in der damaligen Redaktion auf dem Hof des Gebäudes der Volksfürsorge an der Alster. Zuvor hatte ich mich schon bei Otto Siemer vorgestellt, dem damaligen stellvertretenden Chefredakteur. Aber da Axel Springer damals beinahe Tag und Nacht in der Redaktion war, lief ich ihm fast zwangsläufig über den Weg.

Axel Springer war damals 36 Jahre alt, Sie erst 20. Welche Rolle spielte der Altersunterschied?

Tamm: Ich war der Youngster, aber wir waren alle ziemlich jung. Die Redaktion bestand damals aus all dem, was der Krieg "ausgespuckt" hatte. Fast jeder war Soldat gewesen, hatte ein Schicksal hinter sich. Beim Abendblatt fühlten wir Überlebenden uns wie eine Familie, die gemeinsam am Nullpunkt unseres Landes neu begann. Das Abendblatt wurde kurz nach der Währungsreform gegründet, ein guter Zeitpunkt. Denn jetzt begann eine neue Zeit, gefühlsmäßig war erst 1948 der Krieg wirklich vorbei. Daher bot sich die Möglichkeit, etwas Neues zu wagen. Und das Abendblatt war als unabhängige und überparteiliche Zeitung wirklich etwas Neues, denn zuvor gab es nur Parteizeitungen.

Wie war das persönliche Verhältnis zwischen dem Verleger und der ersten Abendblatt-Redaktion?

Tamm: Er war jeden Morgen, jeden Mittag da und kümmerte sich um alles. Morgens um 7 Uhr hatten wir Redaktionskonferenz, in der Axel Springer aus seinen Taschen die Merkzettel zog, auf denen er sich notiert hatte, was ihm alles an der Zeitung aufgefallen war. Er dürfte der Einzige gewesen sein, der die Zeitung komplett gelesen hatte, einschließlich der Anzeigen. Er war sehr genau, hat vieles kritisiert, aber auch immer wieder Anregungen gegeben. Axel Springer war das Abendblatt, und das lebte er uns vor.

War es möglich, Axel Springer in einer Redaktionskonferenz auch einmal zu widersprechen?

Tamm: Ja, denn es war kein Monolog, sondern eine lebhafte Diskussion. Springer wollte mit dem Abendblatt eine neue Art von Zeitung machen und damit Erfolg haben. Dafür brauchte er motivierte Redakteure. Uns Jungredakteuren war er vor allem in der schwierigen ersten Zeit ein Lehrer, und wir waren seine aufmerksamen Schüler.

Erinnern Sie sich an ein Beispiel?

Tamm: Er trichterte uns zum Beispiel ein: Es gibt kein Bild ohne Bildunterschrift. Das klingt heute banal, aber damals gab es in der Tat Bilder ohne Bildunterschrift, sodass die Leser immer etwas zu rätseln hatten.

Konnte Springer sich auch zurücknehmen und zuhören?

Tamm: Er konnte sehr gut zuhören, war an den Meinungen und Einschätzungen anderer interessiert. Es ging kollegial zu, ich nenne das eine Wir-Gesellschaft.

Ist es Ihnen einmal gelungen, ihn argumentativ zu überzeugen und von einer ursprünglich gefassten Entscheidung abzubringen?

Tamm: Er war allen guten Argumenten gegenüber aufgeschlossen.

Wie würden Sie seinen Führungsstil beschreiben?

Tamm: Er war natürlich der Chef, aber er war auch der Kollege und für mich auch der Freund. Er dachte eben nicht nur an sich, sondern sorgte sich auch um das Schicksal seiner Mitarbeiter, einerlei ob sie in der Redaktion, im Vertrieb, im Verkauf, in der Technik oder in der Werbung beschäftigt waren.

Springer hat sich in besonderer Weise um die Aussöhnung mit dem jüdischen Volk bemüht. Wie haben Sie das konkret erlebt?

Tamm: Ich war mehrfach mit ihm in Israel, wo er viele Gespräche mit Vertretern dieses neuen Staates geführt hat. Und zwar in dem Bestreben, sich für Gerechtigkeit einzusetzen. Im Bewusstsein dessen, was zuvor geschehen war, wollte er helfen. Und das hat er sehr konkret und wirkungsvoll getan. Das betraf nicht nur Israel: Überall auf der Welt, wo er Unrecht sah, wollte er etwas dagegen tun.

Wie war seine politische Einstellung in den ersten Jahren?

Tamm: Eher auf SPD-Linie. Zu dem damaligen Bürgermeister Max Brauer hatte er ein vorzügliches Verhältnis. Beide waren ja Altonaer.

Hatte Axel Springer so etwas wie ein Altonaer Geschichtsbewusstsein?

Tamm: Allerdings, wir haben immer wieder lustige Auseinandersetzungen zu dem Thema Hamburg und Altona gehabt. Einmal zum Beispiel beim Besuch des damaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Gerhard Stoltenberg. Springer schwärmte von Altona, und Stoltenberg fragte mich grinsend, was ich als Hamburger davon halten würde. Ich antwortete damals: Hamburg und Altona haben dasselbe Wappen, mit einem kleinen Unterschied. In Altona ist das Stadttor offen, bei uns ist es geschlossen. Deshalb hatten die Altonaer immer mal wieder einen neuen Eigentümer, wir dagegen waren immer frei.

Springer hat sich zeitlebens für die deutsche Wiedervereinigung engagiert, die er selbst nicht mehr erleben konnte. Hatten Sie den Eindruck, dass er damit rechnete, dass dies noch im 20. Jahrhundert geschehen könnte?

Tamm: Ich denke, dass er es nicht für eine ferne Vision gehalten hat. Axel Springer stieß oft Dinge an, die im Moment als utopisch galten, doch widmete er sich nur Zielen, die er auch für realistisch hielt. Er war kein Fantast.

Als Verleger war Axel Springer ein mächtiger Mann. Was bedeutete Macht für ihn?

Tamm: Es gibt Menschen, die sich einbilden, dass sie Macht hätten, obwohl sie gar keine haben. Andere wiederum haben zwar Macht, nutzen sie aber nicht. Axel Springer sah sich meiner Meinung nach gar nicht als Machtmensch. Als Zeitungsmensch ging es ihm darum, Politik zu begleiten.

Ist das nicht allzu bescheiden? Springer verfügte doch über großen Einfluss.

Tamm: Einfluss und Macht, das sind alles schwammige Begriffe. Was heißt das genau?

Zeitungen transportieren nicht nur Informationen, sondern verbreiten auch Meinungen und Ideen. Bei Karl Marx heißt es: Die Idee wird zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreift.

Tamm: Es kommt doch darauf an, ob diese Ideen und Meinungen akzeptiert werden. Springer ging es nicht darum, Meinungsmacht auszuüben, sondern sich für Dinge starkzumachen, die ihm am Herzen lagen. Natürlich sah er sich als großer Verleger und wollte auch entsprechend behandelt werden. Ihm ging es um Gerechtigkeit und um den Kampf gegen Unrecht. Für ihn gab es keinen Zweifel, dass der Kommunismus eine Pest ist.

Er wurde oft diffamiert und angefeindet. Hat ihn das persönlich verletzt?

Tamm: Auf die Dauer schon, denn er war im Grunde ein sehr empfindsamer Mensch. Er hat Zeitungen gegründet, Häftlinge freigekauft, sein Verlagshaus direkt an der Mauer gebaut, Sozialleistungen eingeführt - all das und noch viel mehr hat er gemacht, weil es ihm darum ging, Gutes zu tun. Vor allem deshalb schmerzten ihn die Diffamierungen. Er fühlte sich oft missverstanden.

Sie waren ihm über Jahrzehnte sehr verbunden. Wie würden Sie seine Persönlichkeit beschreiben?

Tamm: Er war sensibel und hatte enormes ästhetisches Gespür, was man seinen Zeitungen ansah. Zugleich war er aber tatkräftig und durchsetzungsfähig.

Wenn Sie sein Vermächtnis in einem Satz zusammenfassen müssten, wie würde der lauten?

Tamm: Einerseits würde ich mit dem alten Leitspruch des Abendblatts antworten: Seid nett zueinander. Und darüber hinaus stellte Springer nicht den Egoismus des Einzelnen, sondern den Gemeinschaftssinn in den Mittelpunkt: Es ging ihm nicht um das Ich, sondern um das Wir.

Was haben Sie Axel Springer persönlich zu verdanken?

Tamm: Fast alles. In meinem Leben gab es zwei entscheidende Dinge. Erstens: Ich bin heil aus dem Krieg gekommen. Zweitens: Ich bin Axel Springer begegnet. Auch dieses Haus, das Internationale Maritime Museum Hamburg, würde es nicht geben ohne diesen genialen Verleger und großzügigen Menschen. Ich bin sehr froh darüber, dass Axel Springers Vermächtnis für den Verlag auch heute noch so große Bedeutung hat.