Künstler Antony Gormley fordert mit der schwebenden Skulptur “Horizon Field Hamburg“ die Selbstwahrnehmung der Hamburger heraus.

Hamburg. Vom Boden betrachtet, ist das "Horizon Field Hamburg" eine gigantische, kalte, schwarze Fläche, schwebend an acht Drahtseilen. Doch sobald man sie über eine der beiden Seitentreppen barfuß oder auf Socken betritt, glaubt man, in einen endlosen See einzutauchen. Durch die oberen Deichtorhallenfenster fällt der Blick auf benachbarte Architektur, die man so noch nie sah. Der Körper wird wach, erstaunlich leicht, froh. Die schwarz glänzende Kunststofffläche des "Horizon Field Hamburg" wird zum Spiegel der eigenen Seele. Als könnte sich der Körper seiner selbst und seiner Umgebung noch einmal anders vergewissern. Welch großartiger Ort, das Leben neu zu entdecken - für Lebensmüde ist er nicht hoch genug.

Es ist auf den ersten Blick eine spröde Schönheit, die der Schöpfer der Großplastik, der britische Turner-Preisträger Antony Gormley hier geschaffen hat. Der Eindruck des Technischen, die Ingenieurleistung, die hinter der 1200 Quadratmeter großen und 67 Tonnen schweren Stahlkonstruktion in siebeneinhalb Metern Höhe steckt, verblassen hinter der grandiosen Kunsterfahrung. Gormley glaubt an den Körper und an die Fähigkeit der Menschen, über ihr Leben und die Wahrnehmung ihrer materiellen Hülle nachzudenken.

+++ Menschlich gesehen: Kunst-Techniker Volker Sigrist +++

Natürlich hat der Gang über die Fläche auch etwas von dem Thrill, den Bergkletterer in der Wand verspüren. "Es gibt keine Schönheit ohne Schrecken", sagte 1757 bereits der englische Philosoph Edmund Burke, auf den sich Gormley bezieht. Es gebe "nichts zu erklären, aber alles zu erleben", sagt der 61-Jährige, der bei der Präsentation so besonnen, ungekünstelt und zugewandt wirkt. Sein Körper eine sportliche Silhouette, der Geist beneidenswert fokussiert durch jahrelange Meditation in asiatischen Ländern. Auch diese Skulptur vermittelt dem Besucher fast eine Zen-Erfahrung.

Das "Horizon Field Hamburg" ist die größte Installation, die Gormley je geschaffen hat. Er knüpft sie als bewusst soziale Plastik an den früheren Marktcharakter des über 100 Jahre alten Industriegebäudes. Einen Ort, an dem der Verkauf von Lebensmitteln das Überleben sicherte und das Leben gefeiert wurde.

"Gute Aussichten" in den Deichtorhallen: Von der neuen Lust, Geschichten in Bildern zu erzählen

In der internationalen Kunstszene ist Gormley eine Ausnahmeerscheinung. Nach dem Studium der Archäologie, Anthropologie und Kunstgeschichte reiste er jahrelang durch Asien und den Nahen und Mittleren Osten. Nach dem Studium der Kunst und Bildhauerei in London begann Gormley in den späten 1970er-Jahren die Skulptur weiterzuentwickeln. Seit er 1994 den renommierten Turner-Preis erhielt, verwirklicht er ein Großprojekt nach dem anderen. In "One & Other" besetzten Besucher 2009 einen leeren Sockel auf Londons Trafalgar Square. In "Blind Light" in der Hayward Gallery tauchten sie in eine helle Nebelwolke ein, die den Boden endlos erweiterte. In "Horizon Field Vorarlberg" installierte Gormley 100 lebensgroße eiserne Körper in einer Berglandschaft. Auch in seinen Bühnenbildern für renommierte Choreografen wie Sidi Larbi Cherkaoui, Akram Khan oder Hofesh Shechter verbindet Gormley Kunst mit Erleben.

Kommentar: Schönheit für Hamburg

Dabei ist es ihm ernst mit der sozialen Verantwortung des Künstlers. Er betont das Partizipative, ruft die Agora, den antiken Marktplatz, ins Gedächtnis, wie ihn Aristoteles einst beschrieb. Die Statue als erhabene Heldenfigur, die auch moralische Führung gebe, sei verloren mit Rodins Tod, so Gormley. Heute seien die Menschen selbst ihre Führer in die Zukunft.

Im Angesicht des "Horizon Field Hamburg" muss das Individuum den Wert erst finden. Er ist nicht auf Wandtafeln beschrieben oder vorgegeben. In Zeiten, in denen der Glaube an ein Durchsetzen der Wahrheit in der Demokratie schwinde, so Gormley, eröffne die Kunst einen freien Raum. Eine Kunst, die nach seinem ausdrücklichen Willen abseits des alles dominierenden Materiellen allen zugänglich sein soll. Die Installation ist offen für Kinder und Erwachsene. Der Eintritt ist frei. Bis zu 100 Besucher dürfen nun bis zum 9. September gemeinsam abheben und sich und die anderen dort oben -fast - grenzenlos erfahren. Erst bei einer Schwingungsreichweite von 50 Zentimetern erklingt ein Alarm, der die individuelle Choreografie beendet.

Antony Gormley: "Horizon Field Hamburg" 27.4. bis 9.9., Halle für aktuelle Kunst/Deichtorhallen, Deichtorstraße 1-2, Di-So 11.00-18.00, jeden ersten Do im Monat 11.00-21.00; www.deichtorhallen.de