Das Duo Ojasoo/Semper bastelt in “Fuck Your Ego!“ an einer utopischen Kolonie. Die Aufforderung ist den beiden Theatermachern bitterernst.

Hamburg. Sebastian Zimmler zappelt mit allen Gliedern, ächzt und speit. Seine Position ist nicht die bequemste. Kopfüber steckt er in einer Blechtonne mit Wasser. Aber Schauspielern wird nichts geschenkt. Schon gar nicht bei dem energetischen Verausgabungstheater, für das die beiden estnischen Theatermacher Tiit Ojasoo und Ene-Liis Semper stehen. Derzeit proben sie im Thalia in der Gaußstraße einen Abend mit dem Titel "Fuck Your Ego!", der am 26. April zur Uraufführung gelangt. Nein, kein launiges Jugendstück. Sondern ernster gesellschaftsutopischer Stoff auf Basis der Ideen des russischen Schriftstellers, Pädagogen und Kommunarden Anton Makarenko.

Für die sieben Thalia-Schauspieler, darunter Sebastian Rudolph und Alexander Simon, bedeutet die Arbeit, sich auf Improvisation und viel harte Körperlichkeit einzulassen. Sich mit Vornamen anzusprechen und den Zuschauer, der hier nicht erhabene literarische Strophen zur eigenen Erbauung mundgerecht serviert bekommt, mit Textflächen zu konfrontieren.

"Wir brauchen mehr Pferde", sagt plötzlich todernst Sebastian Rudolph, nachdem er Zimmler aus der Blechtonne befreit hat. Die anderen Darsteller glucksen. Überhaupt wird viel gelacht auf dieser Probe. Auch der anschließende Militärdrill, bei dem Franziska Hartmann zur kläffenden Befehlshyäne mutiert, sorgt für Heiterkeit. Nur Regisseur Tiit Ojasoo blickt kritisch vom Text zur Bühne. Springt auf und turnt in roten Sneakers, Jeans und Ringelshirt zwischen den Darstellern umher, korrigiert hier eine Bewegung, mahnt dort eine Betonung an. Der Text sitzt bei fast allen noch nicht richtig. Ojasoo vermittelt eine mitreißende Dynamik, die bislang allen international gefeierten Produktionen des Theaters NO99 aus dem estnischen Tallinn zu eigen ist. Junges athletisches Theater, gleichermaßen Text, Tanz und Ausdrucksmitteln des Performativen verpflichtet.

Die Hamburger konnten dies bei den Lessingtagen bereits zweimal bewundern. Vor zwei Jahren begeisterten die Esten mit einem unverfrorenen ironisierten Beitrag zur Debatte um Kunstförderung in "Wie man dem Toten Hasen die Bilder erklärt". Zehn Darsteller wuchsen darin, Joseph Beuys gleichnamige Kunstaktion von 1965 zitierend, auf klug choreografierte Weise zur sozialen Plastik. Bei den diesjährigen Lessingtagen beglückte Sebastian Nüblings multilinguale Umsetzung der "Three Kingdoms" von Simon Stephens mit deutscher, britischer und eben estnischer Beteiligung.

Die Aufforderung "Fuck Your Ego!" ist den beiden Theatermachern bitterernst. Eine kleine ideale Kolonie im Wald will den "Neuen Menschen" hervorbringen. So wie es Makarenko für immerhin 13 Jahre mit einer Kolonie gelang. Im Geiste Rousseaus und Tolstois soll der von einer neoliberalen Wirklichkeit geprägte Mensch wieder mehr Balance zwischen Individualismus und Kollektiv lernen. Zur Not auch mit Gewalt. Und darin liegt das Problem. Denn auf einmal werden Themen wie Eigentum und deren Diebstahl oder strikt gleich verteilte Nahrung bei ungleicher Körpergröße virulent und sorgen für Knarzen im Getriebe zwischen Beet und Birke. Die verordnete Pflicht zur Unterordnung geht naturgemäß nicht ohne Widerstände ab.

Regisseur Ojasoo und Bühnenbildnerin Semper wagen auf der Bühne den Traum von einer besseren Welt auf Basis des pädagogischen Poems "Der Weg ins Leben", das Anton Makarenko in den 1930er-Jahren verfasste. "Viele Türen wurden zugeschlagen aufgrund historischer Erfahrungen, vor allem mit dem Scheitern des Kommunismus", sagt Ojasoo. "Doch die Menschen kommen zu den Ideen aus den 1960er- und 1970er-Jahren zurück. Es gibt ein verbreitetes Unbehagen. Der Glaube daran, so weitermachen zu können wie bisher, funktioniert nicht."

Für einfache Lösungen gestalten sich allerdings schon die Proben zu sehr als Begegnung zweier Theaterwelten. "Es ist immer interessant, einen Fremden zu treffen, aber er sollte nicht zu fremd sein", sagt Ojasoo und deutet an, wie sehr Schauspieler und Regieteam miteinander ringen. "Wir haben intensive Diskussionen über das Leben, die Liebe und die Arbeit", fügt Semper hinzu. Große Gedanken im Kleinen darstellen, das ist stets das Ziel der beiden Künstler. Das kann ein Fußballverein sein, eine Rockband - oder eben eine engagierte Handvoll Leute auf einer Werkstattbühne.

"Fuck Your Ego!" Uraufführung Do 26.4., 20.00, Thalia in der Gaußstraße (S Altona, Bus 2), Karten 26,- unter T. 32 81 44 44 und unter www.thalia-theater.de , weitere Vorstell. 27.4., 1.5.