Im dritten Frankfurter “Tatort“ “Es ist böse“ gerät die Kommissarin Corinna Mey gespielt von Nina Kunzendorf ganz klar an ihre Grenzen.

Püppi ist sie schon mal gar nicht. Mag sein, dass sie aussieht, als habe es sie nach durchfeierter Nacht in Partyklamotten ins Büro gespült. Möglich, dass ihr das Gespür fehlt für die rechte Dosierung beim Einsatz von Glitzerstickern, Ohrschmuck, Nagellack und Blusenausschnitten. Und ja, sie schläft auch ganz politisch unkorrekt mit einem Feldjäger von der Bundeswehr, wenn sie sich von ihm ein paar Gratisinformationen erhofft. Aber wenn es in der Geschichte der "Tatort"-Kommissarinnen je eine Frau gab, an die man sich in 20 Jahren noch erinnern wird, dann ist das Conny Mey. Und wer sie Püppi nennt, geht besser in Deckung.

Auch im dritten "Tatort" aus Frankfurt mit Nina Kunzendorf in der Rolle der Conny Mey fällt dem Zuschauer nach maximal drei Szenen wieder ein, weshalb man sich vergangenes Jahr sofort schockverliebte in diese Rolle, die einerseits nicht von dieser Welt zu sein scheint, auf der anderen Seite lebhafter ist als all die blutarmen Ermittlerinnen, die das deutsche Fernsehen seinem Publikum in großer Zahl präsentiert und als "starke Frauen" verkauft. Conny Mey ist nicht stark, aber sie ist irgendwie gut durchblutet. Weshalb auch dieser "Tatort" pulsiert wie ein vor Gesundheit strotzender Herzmuskel.

In diesem Fall (Buch: Lars Kraume, Regie: Stefan Kornatz) sind es ermordete Prostituierte, die Mey und ihrem Kollegen Frank Steier (Joachim Król) ganze Einsatzkraft abverlangen. Ein mutmaßlicher Serientäter geht um, der seine Opfer mit einem tiefen Kehlkopfschnitt hinrichtet, ihre Tageseinnahmen lässt er mitgehen. Gekonnt fängt der Film das Milieu der Menschen ein, die ihre tägliche Dosis Bier und Billigchips beim Discounter kaufen, einen Kampfhund als Haustier halten und sich wegen eines verloren geglaubten 20-Euro-Scheins mit dem Küchenmesser bedrohen. Uwe Bohm spielt den Ex-Mann einer ermordeten Prostituierten mit vor Alkohol ganz wässerigen Augen, Marc Bischoff einen leise wahnsinnigen Tropf mit Zitterhänden.

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Unantastbar ist auch Króls Darbietung als muffelig-mundfauler Kommissar Steier, der immer wieder seine handzahmen fünf Minuten hat und die ungleiche Kollegin langsam ins Herz schließt. "Warum gehen Sie eigentlich nicht nach Hause?", fragt sie ihn eines späten Abends auf dem Revier - und niemand anderem als ihr würde er gestehen: "Da ist niemand." Hell, beinahe grell ausgeleuchtet sind die Schauspieler in diesem "Tatort", hart konturiert die Gesichter. Über den Frankfurter Straßen scheint eine Dunsthaube zu liegen, am Himmel ziehen überbelichtete Wolkenfetzen ihre Bahnen.

Das Drehbuch beruht auf einer wahren Begebenheit. Handfeste Ermittlungen mit dem Anspruch, möglichst authentisch zu wirken, stehen im Mittelpunkt. Wenig Privatleben, keine dialektplappernden Sekretärinnen, keine blöden Witze in der Pathologie - hier konzentriert sich alles auf den Fall.

Conny Mey jedenfalls gerät diesmal an ihre Grenzen. "Es ist böse", hat Steier sie gewarnt, bevor sie das Zimmer mit der ermordeten Prostituierten betritt. Ja, es ist böse, und es wird noch böser. Und Mey, die mit einer grundsätzlichen Angstfreiheit durchs Leben zu schweben scheint, plagt ein hartnäckiger Tinnitus. Lähmt ihre Konzentration, raubt ihr die Souveränität und lässt sie zweifeln an der Menschheit im Allgemeinen und dem Job im Besonderen. Diesem Job, der selbst aus Lebensbejahern psychische Wracks macht, gefangen in hausgemachten Albträumen.

Die schönste Szene ist diese: Als der Polizeichef dem zwielichtigen, eben erst rehabilitierten Kollegen Seidel (Peter Kurth) den Fall übertragen will, Kommissarin Mey beschwichtigt, sie solle das doch bitteschön "nicht persönlich nehmen", antwortet die mit einem Wutanfall wie Donnerhall: "Meine Arbeit ist immer etwas Persönliches. Ich mache das ja nicht zum Geldverdienen, ich mache das, weil ich es gut kann. Und ich lass mir keinen spannenden Fall wegnehmen." Sagt es, knallt die Tür und cowboystiefelt den Gang des Präsidiums entlang, dass sich jeder wegduckt, der im Weg herumsteht. Conny Mey mag aussehen wie ein Zirkuspferd, in Wahrheit ist sie eine Löwenbändigerin.

"Tatort: Es ist böse ", Sonntag, 20.15 Uhr, ARD