Jette Steckel inszeniert Büchners “Dantons Tod“ am Thalia-Theater als rasantes Drama verloren gegangener Träume: Der Schrei dient als ohnmächtiger Protest.

Hamburg. "Dantons Tod" ist kein kulinarisches Stück. Ein Drama, das den Tod im Titel trägt, das Melancholie, Lebensekel, Verzweiflung und Schrecken, den Überdruss und die Sehnsucht des Titelhelden nach dem Nichts zum Inhalt hat, kann man kaum mitreißend "schön" erzählen. Die Kernaussage, dass jede neue Macht genauso schlimm ist wie die alte, birgt wohl Erkenntnis, aber keine Antworten. Doch Regisseurin Jette Steckel, die Georg Büchners Revolutionsdrama von 1835 jetzt am Thalia-Theater herausbrachte, gelingt etwas Erstaunliches: Sie erfindet großartige Bilder, entwirft einen ohrenbetäubenden Klangteppich und lässt ihr hinreißendes Ensemble exzessiv spielen und herumturnen. Erklären will sie nichts. Die Welt ist in Aufruhr, in Bewegung. Dass es ein Oben und Unten gibt, ein Vor und Zurück, das wird hier optisch deutlich, nicht durch des Gedankens Blässe.

Dieser "Danton", zu dem Florian Lösche eine erhellende Bühne gebaut hat, mit einer rotierenden, meterhohen, aufgeschnittenen Weltkugel, besticht durch seine rasante Erzählart. Doch was Steckel leider nicht gelingt, ist es, inhaltlich zu vermitteln, warum Danton, der Revolutionsromantiker, der das Blutvergießen beenden will, am Pragmatiker Robespierre scheitert, der auf Terror setzt.

+++ Thalia - das ist die neue Generation +++

Der radikale intellektuelle Eiferer Robespierre und der liberale Lustmensch Danton sind tief zerstritten über den Kurs der Revolution. Büchner demonstriert an ihnen, wie die Revolution ihre Kinder frisst. Er zeigt den Fressvorgang, die Selbst- und gegenseitige Zerfleischung der Männer. Auf der Thalia-Bühne geht es weniger darum, was aus Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit wird - nämlich wirtschaftliche Ungleichheit zugunsten des Stärkeren - es geht um Tempo und die revolutionären Träume, die eine Gruppe in der Jugend zusammenschweißen, die nun aber ausgefranst sind, so sehr, dass man einander zu hassen beginnt.

Die Französische Revolution ist kaum mehr als ein seltenes optisches oder akustisches Zitat, museales Material für die ewige Frage, wie man soziale Gerechtigkeit erreichen kann. Man hätte das Stück leicht aktualisieren können, auf die Opfer des Raubtierkapitalismus drehen, denn was ist "Danton" anderes als die Geschichte des Bürgertums und einiger ihrer Vertreter, die "gleicher als gleich" sein wollten? Jette Steckel spart sich die politisch-ideologische Deutung, sie zeigt raffinierte Bilder, die von "sex and politics" erzählen, junge Menschen von heute: Nicht sehr diskursstark, aber auf persönliche Freiheiten bedacht. Die Konzeption ist nicht immer einleuchtend, ihre Verwirklichung schon.

+++ "Sparspielzeit" am Thalia Theater – Situation "prekär" +++

Steckels Inszenierung dient der Schrei als ohnmächtiger Protest. Es wird so viel zur Musik geschrien, dass man oft kein Wort versteht. Aber ging es uns nicht immer schon so mit "Danton", dass wir das Stück nicht ganz verstanden haben? Diese Tragödie der Vergeblichkeit menschlichen politischen Strebens, Büchners nihilistische, pessimistische, fatalistische Weltsicht, sie war ein Rätsel aus philosophischen Gedanken, auswegloser Schicksalhaftigkeit und dramatisierter Geschichtsschreibung. Steckel bemüht sich gar nicht, es zu lösen. Sie setzt die Drehbühne, den darauf thronenden Globus in Gang, lässt die Menschen darin herumklettern, diskutieren, an den Außenseiten wie mit Flügeln hinabgleiten. In der Gerichtsszene fechten Danton und Robespierre an Schlagzeugen ein Duell aus. Auch hier: Bild statt Botschaft.

Zu Beginn stolpern und hasten Revolutionäre der sich drehenden Weltkugel hinterher. Sie atmen schwer. Am Rande brennt ein rotes Feuer. Zwei Musiker an Keyboard und Gitarre treiben laut die Schauspieler an. Bald ergreift Robespierre das Wort. Er spricht trocken, spielt mit seiner Brille, steigert sich in eine lange Abhandlung über Verräter und das Schwert des Gesetzes, das diese getroffen habe, "die Waffe der Republik ist der Schrecken". Daniel Lommatzschs Robespierre ist ein kalter, grauer Asket, der sich den Staub der Geschichte von seiner Kleidung wischt, ein freudloser Eiferer, unbestechlich und verklemmt. Sein Gegenspieler Danton ist bei Jörg Pohl freundlich bis zur Selbstaufgabe. Ein verspielter Mann, der nicht mehr kämpfen will, nur noch lieben. Er ist der große Zweifler, fast schon ein kleiner Hamlet. "Was ist das, das in uns lügt, stiehlt, hurt und mordet?", fragt er und weiß, dass er auf keine seiner existenziellen Fragen eine Antwort bekommen wird. Geradezu unverdrossen nimmt er sein Ende hin.

Camille Desmoulins ist bei Mirco Kreibich ein leidenschaftlicher Freiheitskämpfer, der zärtlich seine Frau Lucile liebt und in einem Fremdtext erklärt, dass heute "täglich 37 000 Menschen an Hunger sterben". So spricht er uns und die Weltwirtschaft direkt an. Bewegend fragt Lisa Hagmeisters Lucile, nachdem Camille gehängt wurde: "Es darf ja alles leben. Warum denn er nicht?" Glücklicherweise hat Jette Steckel ihr das "es lebe der König!" genommen, das sie als verrückt ausweisen soll. Man versteht es heute wirklich nicht. Auch Maja Schöne als Julie überzeugt durch Ausdrucksstärke. Und wie immer - es ist ja fast schon eine Selbstverständlichkeit - fesselt Karin Neuhäuser mit vielen Facetten. Selbst wenn sie nur ihren Kopf aus einer überdimensionalen Figur herausragen lässt, überrascht sie uns. Am Ende: langer Applaus.