Neun Juroren fahndeten für die Hamburger Privattheatertage zwei Monate lang nach Bühnenhits auf dem Lande und lösten stillen Großalarm aus.

Hamburg. "Die Hamburger sind da!" In manchen Provinzbühnen lösten die Juroren, unterwegs für das Programm der Privattheatertage, einen stillen Großalarm aus. Von Mitte Februar bis Mitte April waren die neun Damen und Herren vom Fach zwischen Kiel und Singen am Bodensee auf Achse, um nach einladenswerten Aufführungen für das Hamburger Festival vom 1. bis 10. Juni zu fahnden. Eine Aufgabe, die sich nicht gerade als einfach erwies, aber auch manche Überraschungen bot. In der nächsten Woche veröffentlicht Festivalgründer Axel Schneider die Auswahl der Juroren - je vier Inszenierungen in den Kategorien Komödie, Klassik und zeitgenössisches Drama.

"Da kommt neben mir aus der Ecke ein Dramaturg angeschossen, führt mich zum Direktor, und der platziert mich am Tisch zwischen Schweizer Laienschauspielern", berichtet Volkmar Nebe. Er war wider Erwarten in einem sogenannten Verzehrtheater im Süden gelandet, wo das Publikum vor der Vorstellung schlemmt. "Die Amateure wollten auch noch was von den Profis lernen." Zuständig für die Kategorie Komödie, war der Hamburger Autor von Drehbüchern, Bühnenstücken und Romanen fest entschlossen, Spaß zu haben: "Wenn schon nicht auf der Bühne, dann auf der Metaebene."

Und Nebe kam auf seine Kosten. Zum Beispiel beim Schenkelklopfer mit der pupsenden Blondine. "Die hatte immer das Falsche gegessen. Der Plot war die Urform der Klamotte", sagt er, registrierte in den Komödienhäusern der Großstädte jedoch eine gegenläufige Tendenz: "Sie gehen weg vom Boulevard mit Tür auf und Tür zu und dem Lover im Schrank und setzen auf Stücke, die aus dem Leben gegriffen sind wie Neil LaButes 'Fettes Schwein' oder 'Frau Müller muss weg', und wollen neue Zielgruppen ansprechen." Als Nebe dem Blondinen-Regisseur vorschlug, es mal mit "Fettes Schwein" zu probieren, bekam er zur Antwort: "Wir wollen auch wieder richtigen Boulevard machen und spielen 'Bauer sucht Sau'." Kommentiert Nebe: "Es gibt nichts, was Menschen mehr trennt als Humor."

Insofern empfand er die Beurteilung als schwierig: "Wenn die Leute in einer Komödie lachen, dann funktioniert sie auch."

Auch Kollegin Frauke Stroh, Kulturjournalistin mit 30 Jahren Theatererfahrung, wertete manche Vorstellung eher als Klamauk. "Aber ich sah auch Inszenierungen, die Hamburger Aufführungen noch an Qualität und Witz übertrafen." Wie auch Nebe fand Stroh mundartliche Adaptionen oder Dialektstücke interessant. "Sie spiegeln die Region und ziehen Publikum an. In kleineren Städten ist Theater noch ein Ereignis und lockt die Leute weg vom Fernseher. Das muss einem auch erst einmal gelingen."

Die beiden Komödien-Hunter zeigten sich davon überrascht, was die Privattheater mit knappen finanziellen Mitteln an sauber gearbeiteten Produktionen realisieren. Sie sind sich auch mit den anderen Kollegen einig, dass etwa drei Viertel der privaten Bühnen, ob klein oder groß, handwerklich wie schauspielerisch gutes Niveau bieten. Angelika Thomas, lange im Thalia-Ensemble und zuständig für zeitgenössisches Drama, verblüffte das Engagement, die Kontinuität und Leidenschaft, mit der private Häuser Theater spielen. "Man denkt an die Staatsbühnen, man spielt in der Ersten Liga und ist der Nabel der künstlerischen Welt", bekennt sie. "Ich hatte aufregende und beglückende Erlebnisse mit zum Teil wagemutigen, innovativen Ansätzen, dass ich den Hut ziehen muss. Es gibt nur gutes oder schlechtes Theater. "

Zwischen 20 und 25 Inszenierungen haben die Juroren in den Kategorien gesichtet. Auch Wolfgang Neruda, zuständig für (moderne) Klassik und als Verlagsleiter für Bühnenstücke das ganze Jahr unterwegs, hätte nicht gedacht, noch Entdeckungen zu machen. "Ich sehe bis zu 150 Aufführungen im Jahr, muss aber zu meiner Schande gestehen, dass ich bei einigen Kandidaten noch nie war." Zum Beispiel im Theater Belacqua in Wasserburg am Inn. "Ich war vom professionellen Musiktheater 'Alice' nach Waits/Wilson schwer beeindruckt." Von rechts unten auf der Deutschlandkarte reiste Neruda dann quer durch die Republik nach links oben zu einem 'Sommernachtstraum' der Bremer Shakespeare Company. "Die Privattheater trauen sich durchaus etwas mit den Klassikern", betont er. "Sie sehen sich keineswegs als Gralshüter der Werktreue, zeigen schon mal einen 'Othello' in der Fassung von Feridun Zaimoglu", erzählt er. Juror zu sein machte ihm viel Spaß: "Ich musste keinerlei Rücksicht auf Verlagsinteressen nehmen."

Die vorwiegend positiven Erfahrungen der Juroren erleichterten ihnen nicht gerade die Entscheidung und belegen, was verwöhnte Hamburger leicht vergessen: Auch in der Provinz herrscht ein Leben und gibt es sehenswerte Kunst. Sie dürfen auf das Programm der Privattheatertage gespannt sein.