Im herausragenden Arte-Vierteiler “Gelobtes Land“ verbindet sich die politische Geschichte des Nahostkonflikts mit privaten Dramen.

Hamburg. "Kann ich draußen warten?" Als Erin (Claire Foy) ihren sterbenskranken Großvater im Krankenhaus besuchen soll, reicht ein Satz, um die Distanz zwischen beiden zu illustrieren. Die 18 Jahre alte Britin weiß nichts von Opa Len (Christian Cooke) und will auch nichts von ihm wissen - bis ihr ein Tagebuch in die Hände fällt, das der nach Ende des Zweiten Weltkrieges in Palästina eingesetzte Sergeant der britischen Armee während seiner Dienstzeit schrieb. Erin beginnt zu lesen und taucht ein in eine Welt des Terrors und der Liebe, der Verzweiflung und der politischen Umwälzungen, die bis in die heutige Zeit wirken.

Wie sehr, das merkt die junge Frau sofort, als sie selbst mit Freundin Eliza (Perdita Weeks), die ihren Militärdienst ableisten muss, nach Israel reist, um dort den Sommer zu verbringen. Da sind Elizas Eltern, liberal-aufgeklärte Israelis eigentlich, die jedoch mit großem Vorbehalt jedem Palästinenser in ihrem Umfeld begegnen. Da ist Elizas Bruder Paul (Itay Tiran), der die israelische Friedensbewegung unterstützt. Dann der Palästinenser Omar (Haaz Sleiman), einst Mitglied der terroristischen Al-Aksa-Brigaden und heute Pauls bester Freund. Nicht zu vergessen die monumentale Mauer, die quer durch palästinensische Siedlungen verläuft, die Sehnsucht nach Frieden, aber auch das unendliche Misstrauen auf beiden Seiten.

Für einen ambitionierten Fernsehfilm könnten das schon mehr Handlungsebenen und Verwicklungen sein, als sich nachvollziehbar darstellen lassen, doch Regisseur und Drehbuchautor Peter Kominsky ist noch einen wesentlichen Schritt weitergegangen: Im Arte-Vierteiler "Gelobtes Land" verknüpft er das Heute mit dem Gestern, den aktuellen Nahostkonflikt mit seinen Wurzeln in den 1940er-Jahren, Erins Spurensuche mit dem Schicksal ihres Großvaters, der gegen die jüdische Untergrundarmee Irgun kämpfte, sich gleichzeitig in eine junge Jüdin (stark: Katharina Schüttler) verliebte und bedrängten Palästinensern zur Seite stand. Nahtlos verbindet Kominsky die Episoden und sorgt für Hochspannung, ohne je die Geschichte dem Effekt zu opfern.

Mehr als 80 Interviews hat der für seine Spiel- und Fernsehfilme vielfach ausgezeichnete Brite mit Veteranen geführt und offensichtlich mit Zeitzeugen aus beiden Lagern intensiv gesprochen. Jedenfalls ist sein insgesamt fast sechs Stunden langes Drama ungemein vielschichtig und differenziert. Wie kann ein britischer Soldat, der Konzentrationslager befreit hat, dem bewaffneten Kampf der Juden für einen eigenen Staat entgegentreten? Ist Versöhnung denkbar angesichts von Bombenanschlägen, die sogar die eigenen Kinder treffen? Lassen sich jahrzehntelang geschürte Feindbilder überwinden? Gibt es nach all dem auf beiden Seiten erlittenen Leid noch eine Chance auf dauerhaften Frieden, wenn die weltanschaulichen Risse selbst durch einzelne Familien gehen?

Regisseur Kominsky gibt nicht auf jede Frage eine Antwort, aber er regt dazu an, den Status quo nicht einfach hinzunehmen, sondern beide Seiten dieses scheinbar endlosen Konflikts zu beleuchten. So wie Erin, die fast schon naiv nach Israel reist, fröhliche Tage am Strand, vielleicht auch noch ein amouröses Abenteuer im Sinn hat, aber schnell merkt, dass sie sich dem Strom der Ereignisse unmöglich entziehen kann und sich mit staunender Entschlossenheit auf die Spuren ihres Großvaters begibt. Draußen bleiben kann sie nach diesem Sommer nicht mehr. Und will es auch gar nicht.

"Gelobtes Land" heute, Arte, 20.15 Uhr, und Fr, 27.4., 20.15 Uhr. Gezeigt werden jeweils zwei Folgen