Im Metropolis lief Béla Tarrs Drama “Satanstango“, das wegen seiner enormen Länge fast nie im Kino zu sehen ist. Ein Erlebnisbericht.

Hamburg. Der Himmel ist grau und liegt bleischwer über der Landschaft, der Regen verwandelt die Wege in kaum passierbare Schlammpfützen, und mittendrin trotten ein paar Kühe von rechts nach links. Acht Minuten lang. Es ist exakt 17.06 Uhr, als 26 Unerschrockene sich im Metropolis diesem düsteren Opening Shot stellen, der ersten Einstellung in Béla Tarrs existenzialistischem Drama "Satanstango" von 1994. Mit einer Lauflänge von 450 Minuten nur extrem selten auf der Leinwand zu sehen und eine der ultimativen cineastischen Herausforderungen, angesiedelt auf einer heruntergekommenen Kolchose, irgendwo im Süden Ungarns.

Hier ist alles abgerissen, verdreckt, verschrumpelt, dem Zerfall preisgegeben. Auch die wenigen verbliebenen Bewohner, die ihre Zeit hauptsächlich mit Vorsichhinstarren, Trinken, Vorsichhinstarren und, genau, Trinken verbringen. "Nichts mehr machen. Nur zugucken, wie das beschissene Leben vergeht", ringt sich einer der Protagonisten als Zusammenfassung des Status quo ab. Nichts mehr machen, nur zugucken, das ist auch eine adäquate Herangehensweise an diesen Film, dessen Rhythmus den eigenen Herzschlag zu verlangsamen scheint. Oder es wäre jedenfalls eine Option, hätte nicht noch kurz nach Vorführungsbeginn ein verspäteter Besucher in der drittletzten Reihe Platz genommen, der erst deutlich vernehmbar eine "Ilse!!" sucht, sich anschließend mit ordentlichem Rumms auf das Gestühl fallen lässt, um in den folgenden Stunden immer wieder geräuschvoll die Nase hochzuziehen. "Die Hölle, das sind die anderen", wusste ja schon Sartre - vermutlich ohne sich je mit der maximalen Schleimproduktion eines gewöhnlichen Mitteleuropäers auseinandergesetzt zu haben.

Nur gut, dass Tarrs mal meditativer, mal bizarrer Schwarz-Weiß-Film das Drumherum bald in den Hintergrund rückt. Bis zu elf Minuten sind manche Einstellungen lang, die nicht nur einen ungeheuren Sog entfalten, sondern offensichtlich auch hungrig machen, werden doch in der ersten Pause dicke Stullen ausgepackt und Thermoskannen geöffnet. "Warum dreht jemand so einen Film?", fragt einer etwas hilflos in die Runde - und bleibt dennoch bis zum Schluss. Der Lebensrhythmus der Dorfbewohner, ihr stoisches Warten aufs Morgen, auf eine diffuse Erlösung, die beklemmende Szene, in der ein psychisch gestörtes Mädchen eine Katze quält und schließlich mit Rattengift tötet: Mit einem gewöhnlichen Gang ins Kino hat dieser Abend, der langsam zur Nacht wird, nichts zu tun. Mit einem gewöhnlichen Kinopublikum auch nicht. Wer hier sitzt, der weiß, was ihn erwartet, der will diese vermutlich einmalige Chance nutzen, "Satanstango" auf der großen Leinwand zu sehen. Und macht auch nicht schlapp, als eine Tanzszene einfach nicht endet, als einer der Schauspieler minutenlang eine Laugenstange auf der Stirn balanciert und ein anderer volltrunken die immer gleichen drei, vier Sätze brabbelt.

Wer, wenn nicht ein subventioniertes Kino wie das Metropolis, kann es sich leisten, so etwas zu zeigen? Für gerade mal acht Euro Eintritt, also kaum mehr als einen Euro pro Stunde? Auch wenn nur wenige das Angebot annehmen: Das hier ist Filmbildung pur, ein funkelnder Stern in Hamburgs Kulturkalender. Und natürlich auch eine stolz abgelegte Ausdauerprüfung. Als um 1.10 Uhr der Abspann läuft, kommt Applaus auf. Aus Freude, es geschafft zu haben? Aus Begeisterung über ein einmaliges Kinoereignis, das haften bleibt? Wohl beides.