Der junge Pianist Rafal Blechacz reist für eines seiner wenigen Konzerte nach Hamburg, wie immer mit dem Auto. Heute Abend in der Laeiszhalle.

Hamburg. Denken und Fühlen sind, wie es heißt, oft nur mühevoll miteinander in Einklang zu bringen. In der Musik ist das genauso schwer; manche Interpreten aber begreifen ihre Kunst als Übungsweg. Die Besten können ihr Publikum irgendwann spielend davon überzeugen, dass eine Synthese von Intellekt und Emotion möglich ist. Vermutlich fiele jedem, der den jungen polnischen Pianisten Rafal Blechacz spielen hört, dessen besonders ausgeprägtes Vermögen zu fühlendem Denken oder Mitdenken beim Fühlen auf - abseits seiner wunderbar ausgereiften Spieltechnik. Tatsächlich ist ihm nichts wichtiger, als immer wieder neu die fragile Balance aus Verstand und Herz zu finden und sie in Klang zu verwandeln.

Der Meisterpianist, der heute zu einem Pro-arte-Gastspiel in die Laeiszhalle kommt, studiert in seiner spielfreien Zeit an der Kopernikus-Universität von Torun in Polen Philosophie und möchte seine Dissertation zum Thema "Hermeneutik des musikalischen Werks", an deren zweitem Kapitel er derzeit sitzt, vor dem 30. Juni 2015 fertig haben. Da wird er 30 Jahre alt. Kleiner Ehrgeiz - Doktor will er noch mit Ende 20 geworden sein.

Rafal Blechacz, Sohn eines Versicherungsunternehmers und einer Hausfrau sowie großer Bruder einer Schwester, die nicht überfleißig genug war, um selbst auch Musikerin zu werden, war 2005 der erste Pole seit 30 Jahren, der den Warschauer Chopin-Klavierwettbewerb gewann. Seither vollzieht sich seine Karriere, dokumentiert durch bislang vier CDs bei der Deutschen Grammophon, in einem bemerkenswert kontrollierten Steilflug. 40, höchstens 45 Konzerte gibt er im Jahr, die jeweiligen Städte in Europa steuert er vorzugsweise im eigenen Auto an.

Immer mit dabei: der Vater, manchmal auch die ganze Familie, mit der Blechacz seit sechs Jahren in einem von den ersten fürstlichen Konzerthonoraren finanzierten Haus auf dem Land zwischen seiner Geburtsstadt Naklo und Bydgocscz lebt. "Im Auto geht kein Gepäck verloren, es ist nicht so laut wie auf den Flughäfen, wir können anhalten, wo wir Lust haben, die Sicherheitskontrollen entfallen - alles sehr angenehm", erzählt Blechacz in flüssigem Englisch. Man fährt ein geräumiges deutsches Fabrikat aus Ingolstadt.

Dem Konzert in Hamburg heute fuhr Blechacz mit besonderer Freude entgegen. Er zählt nicht nur zu den unter Spitzenmusikern sehr zahlreichen Fans der Akustik der Laeiszhalle, auch der Steinway, auf dem er heute Werke von Bach, Beethoven, Chopin und Szymanowski spielen wird, ist ihm vertraut. Vorgestern hat man ihm dasselbe Instrument, auf dem seine großartige Einspielung mit Stücken Debussys und Szymanowksis entstand, schon nach Hannover geliefert. Doch so kompromisslos exzentrisch wie der zum Freund gewordene frühe Mentor und letzte polnische Chopinwettbewerb-Gewinner von 1975, Krystian Zimerman, der seinen eigenen Flügel im Anhänger im Pkw von Konzert zu Konzert durch Europa karrt, wird er wohl nie. Als denkender Virtuose macht Rafal Blechacz sich das Leben nur da schwer, wo es unausweichlich ist: in der Kunst.

Rafa l Blechacz, Klavierabend, heute, 19.30 Laeiszhalle (U Gänsemarkt), Johannes-Brahms-Platz, Tickets zu 20,- bis 50,- unter T. 450 11 86 76

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