Bei den Graphic-Novel-Tagen gab die Hamburger Comiczeichnerin und Illustratorin Line Hoven einen Workshop. Und der hatte es in sich.

Hamburg. Das "Gartenzimmer" des Literaturhauses gleicht eher einem Klassenzimmer: Vor jedem der zwölf Arbeitsplätze liegen ordentlich aufgereihte Arbeitsmaterialien: ein schwarzes Stück Karton, zwei Bögen Transparentpapier, Bleistift und Radiergummi. Man wartet förmlich darauf, dass gleich Schüler in den Raum strömen, hinter ihnen eine Lehrkraft, die sich mit dem Satz "Hefte raus, Klassenarbeit!" Gehör verschafft.

Stattdessen kommt nach und nach ein Dutzend Neugieriger zusammen, die eine sehr spezielle Zeichentechnik von einem Profi erlernen wollen. Und kurze Zeit später ist aus dem sterilen Stillleben kreative Unordnung mit System geworden. Man versucht sich an verschiedenen Arbeitsgeräten, vergleicht immer wieder mit kritischem Blick die Originale und das eigene Werk. Line Hoven wandert zwischen den Plätzen umher, gibt willkommene Anregungen, lobt und erzählt Anekdoten. So viel Konzentration und Motivation, wie die Teilnehmer des ersten von zwei Comic-Workshops der Graphic-Novel-Tage zeigen, wünschte sich wohl mancher Kunstlehrer.

Die Comiczeichnerin und Illustratorin hat sich einen Nachmittag Zeit genommen, um Neugierigen die Grundlagen ihrer Arbeitstechnik zu zeigen. Und die hat es in sich. Die Wahlhamburgerin zeichnet nicht im klassischen Sinn. Ihre Kunst erkratzt sie sich. Schabkarton heißen Technik und Arbeitsmaterial. Und diese verlangen den jungen und älteren Kursteilnehmern einiges an Geduld, Fingerspitzengefühl und Denksport ab. Denn der unscheinbare schwarze Bogen hat es in sich. Auf der Pappe liegt eine Schicht strahlend weißer Porzellanerde, darüber pechschwarze Tusche.

+++ Graphic Novels - Ein Bild von einem Buch +++

Bis aus dem dunklen Nichts ein Bild wird, dauert es: "Für eine Illustration brauche ich bis zu 30 Stunden", erzählt Hoven, und die Nachwuchsschaber machen große Augen. Von der Idee bis zum fertigen Werk ist es ein weiter Weg mit einigen Zwischenschritten, die Hoven freundlich und kompetent erläutert. Der Prozess beginnt - natürlich - mit der Motivauswahl. Jeder der Teilnehmer wurde gebeten, Ideen mitzubringen, die vom Profi in kurzen Einzelgesprächen auf Tauglichkeit überprüft werden. Je organischer und komplexer die Formen, desto schwieriger wird die Umsetzung. Denn die Technik verlangt auch das Auf-den-Kopf-Stellen der üblichen Zeichentechnik. Wer mit dem Schabwerkzeug wie mit einem Stift oder Pinsel umgeht, hat am Ende ein Negativbild seines Motivs. Stattdessen gilt Hovens Grundregel: "Alles, was ich behalten will, bleibt stehen."

Statt also die Umrisse eines Auges zu zeichnen, muss man die Flächen drum herum freilegen. Bevor die Teilnehmer dem Schabkarton mit Teppichmessern, scharfen Federn und allerhand anderen Werkzeugen aus Hovens reichhaltigem Privatvorrat zu Leibe rücken, übertragen sie die Motive erst einmal mit Transparentpapier von der Vorlage. Vom Porträt über Landschaftsbilder bis zu surreal verzerrten Gesichtern ist alles dabei. Die fertige Vorzeichnung wird danach mit einem untergelegten Bogen Transferpapier auf dem Schabkarton fixiert, die Linien noch einmal nachgezogen. Man könnte zwar auch direkt auf dem Karton skizzieren. Will man aber Fotos oder detailreiche Zeichnungen übertragen, hilft die langwierigere Durchpaustechnik sehr.

Genau wie ein bedachtes Vorgehen beim Schaben. "Ihr werdet heute nicht fertig werden", sagt Hoven gleich zu Beginn. Wer zu enthusiastisch zu Werke geht, durchstößt schnell die weiße Kreideschicht. Und muss entweder von vorn beginnen oder mit hässlichen Makeln leben. Auch Flüssigkeiten sollte man vom Karton tunlichst fernhalten, die Tusche ist wasserlöslich. Für Hektiker oder ungeschickte Menschen ist der Schabkarton also nicht zu empfehlen. Obwohl es Ausnahmen gibt: Hoven erzählt, dass ihr im Alltag oft Missgeschicke zustoßen, sie gerade erst ihren Laptop mit Tee übergossen hat. Wenn sie aber an ihren Bildern arbeitet, dann falle jegliche Tollpatschigkeit von ihr ab.

Die studierte Illustratorin hat die ungewöhnliche Technik während des Studiums entdeckt und lieben gelernt. Seither arbeitet sie ausschließlich mit Schabkartons. Am liebsten mit einem Fabrikat, das nicht mehr hergestellt wird. Wenn Freunde im Ausland Urlaub machen, durchforsten sie in Hovens Auftrag lokale Schreibwarengeschäfte. Und wenn das nichts hilft, bleibt immer noch das Internet: Von Zeit zu Zeit werden Restbestände bei Auktionen angeboten. Die Jagd nach dem Arbeitsmaterial verlangt Hoven fast genauso viel Geduld ab wie ihre Werke.

Doch der Aufwand lohnt sich: Für ihr Debüt "Liebe schaut weg" erhielt sie vor vier Jahren den Independent Comic Award, zwei Jahre später folgte der e.o.Plauen-Förderpreis. Ausschließlich von ihrer Kunst leben kann sie zwar noch nicht, den Nebenjob im Plattenladen wird sie vorerst behalten müssen. Comics, auch solche, die in Feuilletons besprochen und mit Preisen bedacht werden, sind immer noch ein Nischenmarkt. Und bis sich das ändert, kann es noch dauern. Aber mit langwierigen Projekten kennt sich Line Hoven schließlich aus.