Eine österreichische Wahl-Berlinerin gestaltet die Kultur-Seiten des Abendblatts: ästhetisch und intellektuell anspruchsvoll

Hamburg. Ulli Lust redet sehr österreichisch, da hört man gerne zu: Ihr Akzent ist charmanter als der der Berliner beispielsweise. Verglichen mit den rotzigen Hauptstädtern klingt jemand aus Wien doch gleich viel schmeichlerischer. Die Zeichnerin und Comic-Künstlerin wurde in Wien geboren und lebt seit 1995 in Berlin. Dort, im schönen Prenzlauer Berg, ist vor einigen Jahren eine der besten und voluminösesten Graphic Novels überhaupt erschienen: Ulli Lusts "Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens" ist ein Opus magnum, das bei Erscheinen im Jahr 2009 für Aufruhr in den Feuilletons sorgte.

Mehr als vier Jahre hatte die Künstlerin an ihrem epischen Comic gearbeitet. Er erzählt die Geschichte eines Teenagers namens Ulli, die erst Punk wird und dann mit einer Freundin nach Italien durchbrennt: als 17-Jährige. Heute ist Ulli Lust, die früher Ulli Schneider hieß, 44 Jahre alt. Sie hat in dem 463 Seiten dicken Buch, das 2009 im Berliner Avant-Verlag erschien, die Geschichte ihrer Jugend aufgeschrieben. Ein Entwicklungsroman in Wort und Bild: Selten hatte eine Graphic Novel einen solchen epischen Atem, selten hatte sich das Genre so überzeugend seiner Formen bedient.

Seit "Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens" zählt Lust zu den bekanntesten Vertretern ihres Genres. "Die Szene ist relativ überschaubar und sehr familiär", sagt sie.

Familiär und fast frei von Neid im Übrigen - "was auch daran liegt, dass es bei uns bis jetzt nicht so viel Geld zu verdienen gibt". Sie selbst lebt schon seit zwei Jahren vom Zeichnen. Vorher hat sie mal dies, mal das gemacht. Sie war in Wien Textil- und Modezeichnerin, gestaltete Kinderbücher (Ulli Lust hat einen heute 26-jährigen Sohn), studierte mit Ende 20 an der Kunsthochschule im Berliner Stadtteil Weißensee Grafikdesign.

Man muss sich Ulli Lust übrigens als begeisterte Leserin vorstellen; von Romanen wohlgemerkt. "Mit Comics kam ich früher eher nicht in Berührung, da bin ich anders sozialisiert als viele meiner Kollegen", sagt Lust.

Sie findet literarische Inhalte interessant, und ihr Erzählen ist dokumentarisch. "Graphic Novel" hießen die Bildromane übrigens erst lange nachdem Ulli Lust, die mehrere internationale Auszeichnungen erhielt, Bildergeschichten malte. "Aber als der Begriff aufkam, dachte ich sofort: Ich finde mich darin wieder", sagt Lust. Comics für Erwachsene, auf diese einfache Formel lässt sich das verhältnismäßig junge Medium durchaus bringen. Als Vorbild vieler Zeichner gilt der amerikanische Erfinder des Begriffs "Graphic Novel", Will Eisner. Ulli Lusts Held heißt allerdings Olaf Gulbransson. Der Norweger zeichnete in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für das deutsche Satire-Magazin "Simplicissimus". "Für uns Zeichner", erklärt Ulli Lust, "ist das Interesse an der Graphic Novel, die mit der Installierung des Begriffs einhergeht, eine große Erleichterung. Es gibt immer mehr Verlage und Zeichner."

Zurzeit arbeitet sie an einer Adaption von Marcel Beyers Roman "Flughunde". Ein Projekt, das ein bis zwei Jahre in Anspruch nimmt und also genauso lange dauert wie das Schreiben des Romans selbst. Sie genießt bei ihrer Version des Stoffs völlige Freiheit, der Autor redet ihr nicht in die Gestaltung hinein. Gezeichnete Bildsequenzen können ästhetisch und intellektuell genauso anspruchsvoll sein wie geschriebene Bücher. Ulli Lusts bisheriges Werk ist dafür das beste Beispiel.