Die Künstlerin Tina Oelker malt seit fünf Jahren in ihrer Hasenmanufaktur an den Landungsbrücken immer und immer wieder dasselbe Motiv.

Hamburg. Noch bisschen nach rechts, liebe Tina Oelker. Ja, Stückchen noch, dann passt es. Der Künstlerinnen-Kopf muss in der richtigen Position sein, exakt. So will es der Fotograf, und so will es das, sagen wir, ästhetische Empfinden. Tina Oelkers brauner Haarschopf sitzt jetzt genau zwischen den Schlappohren. Als gehörten die zu ihr, so wie die Brille mit dem kräftigen Rahmen zu ihr gehört.

"Ich mach mich hier ja zum Affen", sagt Tina Oelker.

Sie sitzt jetzt so auf dem Hocker, dass die Hasenohren auf dem Bild hinter ihr förmlich zu ihr gehören. Wir befinden uns in einem flachen Gebäude an den Landungsbrücken. Früher diente es den städtischen Arbeitern der Abteilung Strom- und Hafenbau als Wohnhaus, jetzt ist es eine Galerie. Tina Oelker stellt hier ihre Gemälde aus, sie haben alle ein Thema: den Hasen. Er wird hier täglich gefertigt. Seriell. Wie in einer Fabrik eben. "Hasenmanufaktur" steht draußen auf der Wand. Was die Leute, die Hafenbesucher, die in Scharen vorbeilaufen, wohl für Assoziationen haben, wenn sie des Schriftzugs ansichtig werden?

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Vielleicht denkt der schaufreudige und durch die Straßen des Hafenviertels lustwandelnde Herr ja an die Playboy-Mansion Hugh Hefners. Dann könnte er die vage Hoffnung auf leicht bekleidete Damen hegen, die in dem schmucklosen Bau was auch immer veranstalten. Ein Königreich für ein Playmate, es lebe das Playboy-Bunny!

Kaninchen, sagt Tina Oelker und guckt streng, "Kaninchen sind etwas ganz anderes als Hasen. Hier geht es ausschließlich um Hasen."

Um den Lepus Europaeus, den europäischen Feldhasen, um genau zu sein. Er ist der Fetisch der 1973 in Hamm/Westfalen geborenen Künstlerin Tina Oelker, ihre Inspiration, das Objekt ihrer Begierde. Die lässt sich in Zahlen fassen: 1000 Hasen will die Gute am Ende ihres Projektes gemalt haben. Sie nennt die Einzelstücke der Reihe "Tageshasen", alle sind auf dieselbe Weise gearbeitet, Öl auf Leinwand. Sie hängen in einem Raum, dessen Wände weiß getüncht sind, das lässt die Hasen noch bunter erscheinen. Sie haben mal feste, mal zarte Konturen; mal sind sie grün, mal braun und mal blau. Mal schauen sie aus unschuldigen Hasenaugen, ganz freundlich. Dann sehen sie so aus, als würden sie gleich in die Arme tierlieber Kinder hoppeln. Mal blitzen ihre Augen blutrot, als hätten sie die Tollwut.

Manchmal schauen sie verwundert, als fragten sie sich: Was malt die uns so oft, immer und immer wieder?

Ja, warum eigentlich? Weil der Hase ein Hase ist, sagt Tina Oelker und grinst. Aha. Und weil es auch genauer geht, erklärt die in ein Dirndl gewandete Künstlerin dann noch, dass es eine eher intuitive Entscheidung war, den Hasen zu malen. Und natürlich eine formale. Der Hase hat einen schlanken und grazilen Körper, an den sich enorm große Löffel fügen. Das sollte reichen als Motivation, und dann ist da ja auch noch die Popart, die Oelker mit ihrem vor fünf Jahren begonnenen Hasen-Schaffen zitiert. In seiner Factory produzierte Andy Warhol Reklame-Motive in Serie, zum Beispiel die berühmte Campbell's-Suppendose. "Meine Werke sind Einzelstücke", sagt Oelker - von wegen Popart. "Limited Edition" hat sie deswegen ihre Serie genannt, auch da ist natürlich viel Ironie im Spiel.

Denn ganz ernst ist ihr Vernarrtsein in den Hasen sowieso nicht. Der Hase mag zwar - bei Dürer, Barry Flanagan, Joseph Beuys - ein beliebtes Motiv in der Kunst sein, und auch in der Popkultur (Bugs Bunny, Roger Rabbit) taucht er oft auf. Aber als einziges Motiv kommt er nur dann infrage, wenn man den künstlerischen Schaffensprozess (1000-mal diese Riesenohren! 1000-mal dieses Schnäuzchen!) mit einem humorvollen Überbau versieht.

Hasenmanufaktur. Was 'ne Idee. Muss man erst mal drauf kommen.

Ihr Hasendiplom machte Tina Oelker an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften an der Armgartstraße. Thema der Abschlussarbeit: "Auf Hasenjagd. Der Hase in Kunst und Kultur". Sie weiß also auch allerlei Kulturgeschichtliches über den Hasen und seine Symbolik. Bei den ollen Griechen und Römern zum Beispiel stand der Hase für Fruchtbarkeit, und deshalb spielt die Rammelei im Werk der Westfälin auch eine Rolle. Im oberen Stockwerk, dort, wo sie zeichnet und malt, gibt es auch ein Bild, dass, O-Ton Oelker, "Fickende Hasen" zeigt. Es ist ein lustiges Bild. Die komische Seite des Geschlechtsakts enthüllt sich nirgendwo besser als in der Tierwelt.

Dennoch ist Oelkers Dauerausstellung unbedingt familienfreundlich. Gerade zu Ostern hat der Hase Konjunktur. Warum der Hase irgendwann anfing, Eier zu bringen? Die Frage spielt für Oelker keine Rolle. Obwohl ihre Expertise auch hier umfassend ist: "Frühling und Hase stehen beide für Fruchtbarkeit. Die Germanen glaubten an eine Göttin namens 'Ostara', viele nehmen auch an, dass der Begriff Ostern dort seinen Ursprung hat. Die Göttin trat in Begleitung eines Hasen auf."

Ihre eigene Mythologie sieht derweil etwas anders aus. Tina Oelker, die eloquente und amüsant erzählende Hasenmalerin mit Tierallergie (tatsächlich!), fühlt sich zu ihrem Dauer-Modell auch deswegen hingezogen, weil der Hase freiheitsliebend ist und nicht zu fassen. Ein wilder Einzelgänger, der sich nicht domestizieren lässt. "Wie wir Künstler", sagt Oelker. Dann zeigt sie uns ihre "Stadthasen".

Die verbildlichen nämlich die Underground-Künstler-Existenz in der großen Stadt ziemlich pointiert. In Pariser, New Yorker und Hamburger Straßenszenen, mit dem Fotoapparat aufgenommen, montiert Oelker gemalte Hasen. So ist die Schanze dann nicht nur Künstler-, sondern auch Hasenrevier.

Zur Inszenierung als Hasenmalerin gehört bei Oelker im Übrigen auch ein Holzgewehr. Mit dem lässt sie sich gerne ablichten. Es funktioniert als harte, fiese Brechung der Hasen-Agenda. Denn angeblich war sie auch schon mal auf Hasenjagd, sie mag die Tiere auch aus kulinarischen Gründen.

Mit den knallroten Stiefeln - Oelker deutet aufs Schuhwerk - habe sie an einer Treibjagd teilgenommen. So, so. Und was sollen jetzt die Kinder denken, die Tiere lieber streicheln als essen? "Die sollen ruhig wissen, wo ihre Salami auf dem Brot herkommt", sagt Oelker.

Bloß nicht zu niedlich sein.

Die Hasenmanufaktur von Tina Oelker befindet sich am Hafentor 7. Geöffnet hat die Galerie auch über Ostern: jeweils von 15 bis 20 Uhr. Mehr Infos im Internet unter www.hasenmanufaktur.de und www.tinaoelker.com