Die 26 Jahre alte Schriftstellerin Téa Obreht hat den Bestseller “Die Tigerfrau“ geschrieben, der nun auf Deutsch erscheint. Eine Begegnung.

Hamburg. Téa Obreht ist 26 Jahre alt. Sehr jung, für eine Autorin, deren erster Roman gerade in 30 Sprachen erscheint. Sie wurde in Belgrad geboren, wuchs auf Zypern und in Kairo auf, beendete in den USA die Schule (im Alter von 16 Jahren, sie hatte zwei Klassen übersprungen) und besuchte dort die Uni. Man könnte bedenkenlos behaupten, die Frau, die fünf Sprachen spricht, ist intelligent. Fröhlich ist sie auch. Lebhaft, sie lacht viel. Wenn man sie damit konfrontiert, dass sie derzeit als literarische Sensation gehandelt wird, dass sie als überragendes Talent gilt, dann lacht sie weniger offen als gewöhnlich, wirkt peinlich berührt, lächelt, schaut von unten hoch und sagt: "Ich kann es immer noch nicht fassen. Ich bin total überrascht von diesem Erfolg. Es wirkt ganz fremd, wenn man auf die Figuren aus dem Roman angesprochen wird. Sie leben plötzlich ohne mich."

Téa Obreht schreibt, seit sie acht Jahre alt ist. Ihre erste Kurzgeschichte wurde veröffentlicht, als sie Studentin war, in einer Uni-Zeitschrift. "Man ist ja sehr einsam beim Schreiben. Es gibt keine Leser, kein Sicherheitsnetz", sagt sie. "Man weiß ja nie, worauf Leser reagieren." Erst mit der Veröffentlichung einer ihrer Geschichten in "The Atlantic" bekam sie Resonanz von Lesern.

Im vergangenen Jahr hat Téa Obreht in den USA ihren ersten Roman veröffentlicht, "Die Tigerfrau", der nun auch auf Deutsch erschienen ist. Obrehts Roman ist von der "New York Times" zu "einem der besten Bücher des Jahres 2011" erklärt worden. Sie hat viel, sehr viel Kritikerlob bekommen und den britischen Orange Fiction Prize gewonnen, als jüngste Autorin, die jemals diesen renommierten Literaturpreis erhalten hat. Für den National Book Award kam sie bis in die Endrunde. Was für eine Karriere. "Die Tigerfrau" ist nicht nur der Debütroman von Téa Obreht, auch für ihren Agenten Seth Fishman war es das erste Buch, das er jemals gemacht hat; und auch ihr Lektor war erst 26 Jahre alt.

Viele junge Menschen haben an diesem Roman gearbeitet, der sehr reif wirkt, der sich auf europäische Mythen stützt und der vom Krieg erzählt, ohne ihn je zu schildern. Er erzählt von einer jungen Ärztin auf dem Balkan, Natalia, die den mysteriösen Tod ihres geliebten Großvaters anhand der Geschichten seines Lebens verstehen will. Und während Natalia immer tiefer in das Leben des Großvaters eindringt, erfährt sie, warum er stets eine zerfledderte Ausgabe des "Dschungelbuchs" bei sich trug.

"Ich wollte den Roman nicht linear erzählen", erklärt Obreht, "ich hatte schon Kurzgeschichten geschrieben, in denen ich durch Gegenwart und Vergangenheit gesprungen war. Mit vielen Motiven, mit Märchen und ganz realistischen Beschreibungen möchte ich ein Panorama erschaffen, das sich im Kopf der Leser zu einem Bild fügt."

In der "Tigerfrau" fährt Natalia mit ihrer Freundin in ein Waisenhaus, um dort Medikamente zu verteilen. Das Land, unschwer als das ehemalige, vom Krieg traumatisierte Jugoslawien zu erkennen, liefert idyllische und kriegsverwüstete Landschaften, Konflikte, die Jahrhunderte zurückreichen, Balkanfolklore und Aberglaube, während sich Natalia immer mehr an die seltsamen, mystischen Gestalten erinnert, die ihren Großvater durchs Leben begleiteten. Dazu zählen ein charmanter "Mann, der nicht sterben kann", ein aus dem Zoo entkommener Tiger, ein Bärenjäger, der den Tod fürchtet, ein Schlachter, der Musiker war und dann Schlachter werden musste, seine Frau, eine taubstumme "Mohammedanerin". Der Roman ist wie ein Puzzle zusammengesetzt und verbreitet die typische Atmosphäre eines Sommers in Südosteuropa. Irgendwo ist immer noch ein bisschen K.u.K-Atmosphäre, hausen Geister im Wald, schwitzen Landarbeiter, die einen Weinberg nach den Knochen eines Verstorbenen durchpflügen. Am Abend erzählt man sich Geschichten, isst Brot und Oliven, trinkt Wein.

"Es soll nicht so klingen, als sei es furchtbar schwer gewesen, das Buch zu schreiben. Aber als ich die erste Fassung fertig hatte, sah alles nach Katastrophe aus. Ich war entsetzt. Es war ein furchtbares Durcheinander", erzählt Téa Obreht. "Ich hab dann den Roman in einem Stück noch mal neu geschrieben, 120 Seiten. Das hat richtig Spaß gemacht." Was sie beim Schreiben antreibt? "Die pure Angst, den Faden zu verlieren, oder das magische Gefühl, das mich in eine Stimmung versetzt."

Obreht hat kreatives Schreiben und Kunstgeschichte studiert, "nicht gerade etwas, das zu einem erfolgreichen Beruf führt", sagt sie. "Aber ich wollte immer nur schreiben. Ich habe keinen Plan B."

Téa Obreht: "Die Tigerfrau" Übers. v. Bettina Abarbanell, Rowohlt. 412 S., 19,95 Euro