Ein Trend im Literaturjahr 2012? Gibt es (noch) nicht. Aber reichlich Abwechslung

Hamburg. Familienromane scheinen in diesem Jahr in der Literatur kein großes Thema mehr zu sein. Zu vielfältig, zu abwechslungsreich sind die Stoffe, mit denen sich die Romane des Frühjahrs beschäftigen.

Téa Obreht beispielsweise ist eine Osteuropäerin, die seit ihrem zwölften Lebensjahr in den USA lebt. Ihr Roman "Die Tigerfrau" (Rowohlt Berlin) war im vergangenen Jahr in der englischsprachigen Welt ein Überraschungserfolg und wurde mit dem "Orange Prize for Fiction" ausgezeichnet. Nun erscheint er gleichzeitig in 30 Sprachen. Im Mittelpunkt steht eine Ärztin, die in einem Waisenhaus in Südosteuropa arbeitet und die auf den Spuren ihres Großvaters durchs Land reist. Obrehts virtuos gestaltete Welt erinnerte Rezensenten an Gabriel García Márquez.

Ebenfalls aus Osteuropa, aus Bulgarien, stammt der in den USA lebende und als Shootingstar gefeierte Miroslav Penkov. In seinen Erzählungen "Wenn Giraffen fliegen" (Blessing) geht es um Träume und Hoffnungen und um die Liebe zu den Menschen, an denen man sich am meisten reibt. Auch Nina Sankovich ist eine Amerikanerin, ihre Familie stammt aus Polen. Sie hat sich nach dem Tod ihrer Schwester verordnet, jeden Tag ein Buch zu lesen. Einziges Kriterium: Es darf nicht dicker als 2,5 Zentimeter sein. Zwischen Wäschebergen und Kindergeschrei entlockt sie der Literatur Geheimnisse, nachzulesen in "Tolstoi und der lila Sessel" (Graf).

Neues gibt es von der Königin der Erzählungen, Alice Munro, "Was ich dir schon immer sagen wollte" (Dörlemann). Im selben Verlag hat die Dänin Helle Helle, deren Schilderungen des ganz gewöhnlichen Lebens der Mittelschicht sie zur wichtigsten Gegenwartsschriftstellerin ihres Landes machen, ihren neuen Roman "Die Vorstellung von einem unkomplizierten Leben mit einem Mann" veröffentlicht. Mit Künstlerleben beschäftigen sich Esther Freud (ja, die Urenkelin) und Jennifer Egan. Freuds "Große Besetzung" (Bloomsbury Berlin) beschreibt Lust und Leid junger Schauspieler auf dem Weg zum Erfolg. Egan hat für "Der größere Teil der Welt" (Schöffling) 2011 den Pulitzerpreis bekommen. Der Roman, der sich mit dem Ende der Utopien beschäftigt, spielt in der Musikszene - von den 70er-Jahren bis heute - und wird derzeit in 28 Sprachen übersetzt.

Und dann gibt es noch die anerkannten Literaten und ihre neuen Werke. Paul Auster zeichnet ein bewegendes Bild des heutigen Amerika in "Sunset Park" (Rowohlt). Der Spanier Javier Marias bringt "Die sterblich Verliebten" (S. Fischer) heraus, worin er die Frage stellt: "Ist die Liebe ein Zustand, der alles erlaubt?" Einzig die israelische Schriftstellerin Zeruya Shalev scheint sich wieder der Familie zu widmen.

Ihr Roman "Für den Rest des Lebens" (Berlin) erzählt von den elementaren Kräften zwischen Eltern und Kindern, von Wut, Enttäuschung und Sehnsucht, von Verletzungen und Liebe. Und für alle, die diesen großartigen Roman noch nie gelesen haben, kommt Albert Cohens "Die Schöne des Herrn" in einer Neuübersetzung heraus (Klett-Cotta), einer der ganz großen Liebesromane des 20. Jahrhunderts.