Das Ictus Ensemble sehnt sich nach der Energie des Rock. Das Setting bei “Liquid Room“ auf Kampnagel probte immerhin die Revolution.

Hamburg. Wenn uns Deutschen bei einer Revolution nach Erstürmung des Bahnhofs zumute ist, kaufen wir bekanntlich ja erst einmal eine Bahnsteigkarte. Weshalb sollte ein Abend mit Neuer Musik, der, wie es die Ankündigung verhieß, "genau wie ein Rockfestival" funktionieren will, da nicht auch eben genau nicht ablaufen wie ein Rockfestival, sondern fast so wie jeder andere gesittete Abend mit Neuer Musik in Deutschland? Das Setting bei "Liquid Room" auf Kampnagel immerhin probte die Revolution: Die K 6 war in bläuliches Licht getaucht, um ein Zentralpult mit allerlei Technik in der Mitte hatte man vier Bühnen aufgebaut, bis auf die Pauken wurden alle Instrumente mit Mikrofonen verstärkt. Und das Publikum war zum Sitzen auf Papphockern eingeladen, die sich leicht zur nächsten Bühne tragen ließen.

Die jahrzehntelang eingeübten Achtungsreflexe vor der Hochkultur funktionierten jedoch weiterhin tadellos. Mucksmäuschenstille während der Darbietungen, artiger Applaus am Ende jedes Stücks. Das Ictus Ensemble aus Belgien, das eine Art Live-Mixtape mit Entlegenem bis ganz Entlegenem aus dem weiten Feld zwischen Avantgarde von vorgestern, Art-Rock und elektronisch manipulierter Musik mitgebracht hatte, tat das Seine dazu. Ohne ein Wort und mit ernstem Gesicht zelebrierten die acht virtuosen Herren an Flöte, Klarinette, Trompete, (E-)Gitarre, Keyboards, Cello, Kontrabass, Perkussion und Schlagzeug ihre Piècen - solistisch, im Duo, im Trio, maximal im Sextett.

Kurt Schwitters' "Ursonate", die als eine Art Dada-Rap in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstand, trug Michael Schmid so unbeirrt vor wie die kargen Briefzitate in Harry Partchs "Barstow" und "The Letter". Zu zauberhaft verstimmten Zitherklängen und einem in Mikrointervallen intonierten Kneipenklavier erklangen Partchs merkwürdige Cabaret -Mini-Songs aus dem Zweiten Weltkrieg. Unversehens ließ sich der Viertelton-Kauz damit auch als Inspirationsquelle großer amerikanischer Independent-Idole wie Tom Waits, Frank Zappa oder Carla Bley/Paul Haines ausmachen.

Ganz dem Rockfestival-Gedanken entsprach die Lautstärke; selbst bei Helmut Lachenmanns filigraner Klangsondierung "Pression" für Cello solo quietschten und schrien die Obertöne mächtig aus der über den Köpfen der Zuhörer montierten Surround-Anlage. Vor allem Klavier und Schlagzeug unterzogen die Belgier teils extremer klanglicher Verfremdung. Dass die dazu nötigen Manipulationen unsichtbar blieben, gab der Sache immerhin den Reiz des Geheimnisvollen.