Das Ictus Ensemble träumt mit “Liquid Room“ vom Kammerkonzert als Rock-Festival

Dass zeitgenössische Musik ein Abenteuer ist, werden ihr Gegner wie Fans bescheinigen. Den einen geht das Abenteuerliche viel zu weit, den anderen dient das Ungewisse, Unberechenbare neuer Klänge zur Erfrischung ihrer grauen Zellen. Auf der Suche nach dem Publikum von morgen scheuen mittlerweile auch manche Klassik-Veranstalter kein Abenteuer. Am 28. März laden die Elbphilharmonie-Konzerte nach Kampnagel zur Deutschland-Premiere von "Liquid Room", einem Programm, das das belgische Ictus Ensemble ersann und das bislang in Brügge, Brüssel und Wien aufgeführt wurde. Es bildet den zweiten Teil der Veranstaltungstrilogie "Im Reich der Sinne", die extrem ungewöhnliche Darreichungsformen sogenannter E-Musik bündelt. Der erste Teil war das "Concert in The Dark" im vergangenen November.

Mit der Flüssigkeit des Raums bei "Liquid Room" ist wohl mancherlei gemeint, nicht zuletzt die Erlaubnis, während der Veranstaltung nach Belieben Getränke zu sich zu nehmen. Doch spielt der Titel auch auf die Lizenz zum freien Fließen des Publikums von einem Bühnenereignis zum nächsten an. "Liquid Room" vollzieht sich auf vier Bühnen zugleich, die Musik erklingt also simultan, die Verfertigung des gesamten Höreindrucks liegt in der Verantwortung des Einzelnen. Er entsteht beim allmählichen, zwanglosen Umherwandern durch den Saal.

Dem Ictus Ensemble aus Brüssel gehören acht Instrumentalisten an. Sie spielen Klarinette, Trompete, Flöte, Cello, Keyboards, Gitarren, Bassgitarre und vielfältige Percussion. Ein Live-Elektroniker und ein Klangregisseur sorgen für die Abstimmung. Ictus arbeitet intensiv mit der belgischen Choreografin Anna Teresa de Keersmaeker zusammen und war zuletzt mit ihr, Jérôme Bel und dem Mahler-Projekt "3Abschied" in Hamburg.

Nun kredenzen sie einen Cocktail aus Musik denkbar unterschiedlicher Provenienz: zwei Stücke des Mikrointervall-Altmeisters Harry Partch, eine Komposition des Finnen Magnus Lindberg, eine von Helmut Lachenmann, viel Musik von weniger bekannten Komponisten, außerdem ein Stück des (Ost-)Berliners Helmut Oehring, der als Sohn gehörloser Eltern aufwuchs und seine Lebensgeschichte in einem bewegenden Buch aufgeschrieben hat ("Mit anderen Augen"). Mit Kurt Schwitters "ursonate" erklingt zudem ein Klassiker des 20. Jahrhunderts. Wenn's die eklektische Stück-Auswahl allein nicht vermag, so verleitet womöglich der legere Rahmen auch notorische Neue-Musik-Skeptiker, sich auf dieses Hör-Abenteuer einzulassen.

Ictus Ensemble: "Liquid Room" Mi 28.3., 20.00 Kampnagel K6 (Bus 172, 173) Jarrestraße 20, Tickets zu 25,- unter T. 35 76 66 66