Der neue Dominik-Graf-Krimi “Das unsichtbare Mädchen“, heute auf Arte zu sehen, ist verstörend und verschroben, düster und großartig.

Man müsste sich wirklich mal wieder "Twin Peaks" anschauen. Diese Kultserie von David Lynch aus den frühen 90er-Jahren, in der es in einem sehr sonderbaren Kaff um einen sonderbaren Mordfall geht und bei der man nie wusste, ob man noch fernsieht oder schon Albträume hat. Eine Frau trug in diesem Hinterwäldlerkaff ständig ein Stück Brennholz mit sich herum, es gab einen geschniegelten FBI-Agenten, der, warum auch immer, nichts lieber mochte als Kirschkuchen und verdammt guten Kaffee. Wer die schöne Laura Palmer tatsächlich ermordet hatte, war schnell schnurz. Das Trudeln durch diese Welt war die eigentliche Sensation.

Einen ähnlich faszinierend verstörenden Eindruck hinterlässt der Film, den Dominik Graf aus der Vorlage des bayerischen Krimi-Autors Friedrich Ani gemacht hat.

"Das unsichtbare Mädchen" basiert auf einer wahren Geschichte aus dem Jahr 2001, dem "Mordfall Peggy" im deutsch-tschechischen Grenzgebiet. Damals sorgte die Geschichte um ein verschwundenes Mädchen für Schlagzeilen, die Variation über dieses Thema sorgt nun für Gänsehaut. Graf, spätestens mit dem Russen-Mafia-Zehnteiler "Im Angesicht des Verbrechens" in den TV-Olymp aufgestiegen, und Ani haben mit der Dokumentarfilmerin Ina Jung die Zutaten aus den Aktenbergen genommen und sie neu komponiert.

Sie erzählen die Geschichte des nur oberflächlich idyllischen oberfränkischen Kaffs Eisenstein, in dem offenbar niemand mehr noch alle Latten am Jägerzaun hat. Sie zeigen eine Region, die zum Fürchten ist, weil der Firnis der Zivilisation kaum noch verbergen kann, was unter ihm modert und fault.

In Eisenstein also, kurz vor der für seine Trucker-Puffs berüchtigten deutsch-tschechischen Grenze, war vor elf Jahren die achtjährige Sina verschwunden; der geistig behinderte Sohn des Gastwirts hatte unter dem Druck der Polizeiverhöre die Tat gestanden, obwohl es weder die Leiche noch keinerlei Zweifel mehr gab, damals. Aber a Rua sollt sein, endlich, Gras sollte wachsen über die Geschichte.

Zwischen Grafs Expedition ins Tierreich und dem rustikalen Rankumpeln der vielen halblustigen Regionalkrimis, mit denen das öffentlich-rechtliche System auf anderen Sendeplätzen seine Zuschauer für blöd verkauft, liegen Welten. Das verdankt der Film, den Arte verdientermaßen zur besten Sendezeit anbietet, nicht nur dem Plot, sondern auch dem Gruselkabinett hervorragender Schauspieler: Ronald Zehrfeld, einer von Grafs liebsten Brachialbullen, wirft sich mit vollem Körpereinsatz auf diesen Fall. Er ist Niklas Tanner, der Fremde hier, aus Berlin gekommen, respektlos und rotzig.

Eine Frau wird ermordet aufgefunden, kurz nachdem sie behauptet hatte, Sina lebe noch, sie hätte sie gesehen. Der Bulle aus der Großstadt lernt einen zwangspensionierten Kollegen aus der Nachbarschaft kennen. Elmar Wepper spielt ihn mit stiller Resignation, unter der, gut verborgen, maßlose Wut lauert. Die Geister, die keiner mehr rufen wollte, spuken wieder.

Tanners diabolisch fränkelnder Gegenspieler ist Ulrich Noethen als Leiter der Mordkommission, der nach unten tritt und nach oben buckelt. "Oben" ist in diesem Fall München, ein Reich des gut maskierten und vernetzten Bösen, in dem Politiker aus der Provinz sich durch nichts und niemanden vom Karrieremachen abhalten lassen wollen. Erst recht nicht durch die Wahrheit.

Die bayerische Filmförderung blieb übrigens dem Freistaat-Renommee treu und verweigerte die finanzielle Unterstützung für Grafs Meisterwerk, das wieder mal auf alle Konventionen pfeift. Verstehen kann man das fast, nicht nur wegen des schockierenden Endes. Denn dieser Regisseur zeigt mit voller Wucht virtuos, wie viel klüger er ist als der Rest. Verstehen kann man aber noch viel besser den Co-Autor Friedrich Ani, der zu dieser Absage nur meinte, das "unsichtbare Mädchen" sei "der ultimative Heimatfilm, wenn auch ein bisschen härter". Reizende Untertreibung.

"Das unsichtbare Mädchen" 20.15 Uhr, arte