Festivals klug und eigen zu planen ist eine Kunst des Pianisten Markus Hinterhäuser. Karfreitag spielt er in Hamburg bei den “Ostertönen“.

Hamburg. Die Oberliga der europäischen Festivalmacher und Konzerthauschefs lässt an ein Gehege voller Pfauen denken. Jeder schlägt da sein Rad und will bewundert werden. Markus Hinterhäuser schlägt in dieser Hinsicht dramatisch aus der Art. Denn was er besonders gut macht, ist mühsam.

Während seiner Zeit als Konzertchef bei den Salzburger Festspielen war Hinterhäuser, von Haus aus Pianist, stets knapp neben dem Rampenlicht zu finden, in dieser sympathischen Grau- und Grübelzone, in der es keine einfachen Wahrheiten gibt. Dafür aber ungestörte Spielräume. Mit dem "Zeitfluss"-Konzept zwischen 1993 und 2001 schuf er ein Paralleluniversum, in dem die Gourmet-Kundschaft nach und nach lernte, dass vermeintliches Kassengift sehr delikat sein kann. Sein Wagemut, 1993 mit dem späteren Hamburger Generalmusikdirektor Ingo Metzmacher Luigi Nonos Meisterwerk "Prometeo" aufzuführen, ist längst legendär. Im letzten Sommer kam der "Prometeo" wieder in den Salzburger Spielplan und wurde gefeiert wie weiland eine "Zauberflöte" zu Karajans üppigsten Zeiten.

Als Hinterhäuser nach Revierkrächen mit dem Alphatier Jürgen Flimm gegangen wurde, bevor er 2011 als Interimschef die Zeit bis zum Amtsantritt des Züricher Opernchefs Alexander Pereira überbrückte, nutzte er erneut die Chance, mit klug widerspenstigem Sortiment zu beeindrucken. Derzeit feilt er an Ideen für die Wiener Festwochen, die er als Nachfolger von Luc Bondy mit der hyperenergischen Berliner Theatermacherin Shermin Langhoff ab 2014 leiten und umkrempeln wird. Verraten mag er nur so viel: "Dass alles gemütlich sein wird, glaube ich nicht."

Hinterhäuser ist peu à peu nach ganz oben geraten, und wenn er darüber spricht, klingt immer auch ein leises, ganz uneitles Erstaunen darin mit. "Ich wurde gelassen", sagt er, ohne das tolle, tiefsinnige Wortspiel darin zu entdecken. "Man kann es auch anders machen. Aber ich kann's nicht." Soll heißen: Ich will's nicht müssen.

"Imagination gibt Träumen Form", hat der Komponist Edgar Varèse gesagt; solche Sätze mag Hinterhäuser, der an Karfreitag einen Auftritt als Brahms-Pianist bei den Hamburger Ostertönen hat. Er hat ein Faible für die Avantgarde, für die Sperrigen und Unbequemen, weil er weiß und davon überzeugen will, dass sich die Anstrengung lohnt, um den eigenen Horizont immer wieder neu zu erweitern und zu hinterfragen.

"Festspiele als Shoppingtour oder Partyservice, das interessiert mich überhaupt nicht", findet Hinterhäuser. "Wenn Festspiele einen Anspruch stellen und eine Haltung formulieren, dann haben sie auch eine Berechtigung." Erfolg, wie er ihn versteht, ist eine Frage der Nervenstärke und der Ausdauer. "Sanften Nachdruck" nennt er sein Erziehungsprinzip. "Man hat ein Publikum ernst zu nehmen. Man kann, muss und sollte es fordern. Was man dann zurück erhält, ist sehr viel - das Interesse. Diese Form der Zuneigung bekommt man nicht, wenn man das Publikum nur behandelt wie Kartenkäufer. Oder Melkkühe." Neben aller Überlegung hat Hinterhäuser bestechend einfache Praktiker-Regeln parat. Die eine lautet: "Möchte ich das hören?", die andere, frei nach Nestroy: "Wenn man's kann, ist's keine Kunst - und wenn man's nicht kann, erst recht nicht."

Womit man aus Hamburger Sicht fast spielerisch bei der Frage gelandet wäre, was eine echte, diesen Anspruch ernst nehmende Musikstadt ausmacht. "Es muss ein Gefühl geben, dass Musik zum Leben dazugehört wie ein Grundnahrungsmittel", sagt Hinterhäuser. Man solle nicht glauben, dass man damit schon jeden erreicht, bremst er die Erwartungen. Aber sich zum gemeinsamen Hören an einem Ort zusammenfinden, das sei ungeheuer kostbar. "Es ist dann auch völlig egal, ob es 20, 2000 oder 20 000 Menschen sind."

Total egal nun auch nicht, sonst hätte es nicht in den letzten Wochen die Debatten über die "Kulturinfarkt"-Polemiker gegeben. Bei diesem Thema verliert Hinterhäuser dann doch ein wenig die Contenance: "Das entspricht einer Tendenz, die ich zum Speien finde: dass Kultur gemanagt werden kann. Kultur ist viel zu groß, um die kleinkarierten Parameter des Neoliberalismus übergestülpt zu bekommen." Hinterhäuser ist Überzeugungskünstler und Triebplaner. "Wir müssen langsam verstehen, dass die, die sich mit Kunst und Kultur auseinandersetzen, zu einer Minderheit gehören. Aber mit ihr wird umgegangen, als wäre sie völlig überflüssig. Auch wenn jemand in einem kleinen Theater spielt - die Menschen gehen dorthin! Sie könnten ja auch zu Hause sitzen und sich Carmen Nebel ansehen. Der Umgang mit Kultur ist nicht nur eine Frage des Geldes, sondern eine des Bewusstseins."

Konzert : 6.4., 11 Uhr: Brahms "Ein deutsches Requiem" (Fassung für Soli, Chor u. zwei Klaviere), Laeiszhalle. M. Hinterhäuser, E. Leonskaja, I. Bolton, u. a. Karten (8-45 Euro) Tel. 357 666 66.