Das Debütalbum des Briten Michael Kiwanuka geht zurück zum Sound, wie er in den 60er- und 70er-Jahren von Afro-Amerikanern kreiert wurde.

Ganz weich beginnt "Tell Me ATale", mit einem verhalten gespielten Bläsersatz, einem leichten, fast eleganten Rhythmus, einer Flöte und einer sanft geschlagenen Gitarre. So ähnlich klangen Jazzplatten zu Beginn der 70er-Jahre, nachdem die jungen Wilden des Free Jazz sich ein Jahrzehnt lang ausgetobt und auf die Suche nach ihren musikalischen Wurzeln in Afrika begeben hatten. Der moderne Jazz wurde in dieser Phase verschnörkelt, der aggressive Ton durch ein kontemplatives Ausloten mannigfaltiger Klänge ersetzt.

"Tell Me A Tale" ist der Eröffnungssong auf Michael Kiwanukas Album "Home Again", keiner Jazz-, sondern einer Soulplatte. In Deutschland ist er damit gerade auf Platz 17 der Charts eingestiegen. Die Songs des 25-Jährigen speisen sich aus Musik, wie sie in den 60er- und 70er-Jahren in den USA von Afro-Amerikanern kreiert wurde. Sein Album "Home Again" klingt, als wäre es aus der Zeit gefallen.

Kiwanuka - vor 25 Jahren in London geboren - besitzt ebenfalls afrikanische Wurzeln. Seine Eltern flohen Ende der 70er-Jahre vor dem grausamen Regime des Diktators Idi Amin aus Uganda nach Großbritannien. Kiwanuka wuchs in Muswell Hill auf, einem Vorort im Norden Londons, aus dem auch die Kinks-Brüder Ray und Dave Davies stammen.

Fünf Stunden brüllen, hüpfen, Mähne schütteln

Nach Beendigung der Schule studierte der junge Brite Medien, Kunst und Design an der Universität von Westminster. Und er zog mit seiner Gitarre durch Londoner Pubs und spielte eigene Songs. Angefangen, Gitarre zu spielen und zu singen, hat er vor zehn Jahren. Damals wurde Gitarrenrock in Großbritannien durch US-Bands wie die Strokes und den Black Rebel Motorcycle Club gerade wieder populär, doch Kiwanuka ließ sich von einer Aufnahme von Otis Reddings "(Sittin' On) The Dock Of The Bay" inspirieren, jener 1968 posthum veröffentlichten Ballade, die eher untypisch für Reddings schwitzenden Soul war.

Entdeckt wurde Michael Kiwanuka von dem Produzenten Paul Butler. Der lud ihn in sein Studio auf der Isle of Wight ein und nahm dort mit ihm "Home Again" auf. Butler hat maßgeblichen Anteil an dem Sound des Albums, denn die Lieder, die Kiwanuka zur Gitarre schreibt, sind in ihrer Rohform eher schlicht. Butler hat dazu Arrangements geschrieben und zu Kiwanukas Gitarrenakkorden Bläser, Streicher und Chöre hinzugefügt. Doch die Hinzunahme weiterer Instrumente bläst die Nummern nicht zu unangemessener Opulenz auf, sondern verleiht ihnen einen warmen Sound und unterstreicht den melancholischen Grundton vonKiwanukas Songs. Um diesen warmen Klang zu erreichen, wurde "Home Again" analog und mit Studiomusikern aufgenommen, so wie vor 50 Jahren in den Studios der Soul-Labels Stax und Motown.

Beim Hören von "Home Again" erwartet man eigentlich das für Vinylplatten typische Knistern. Denn Kiwanuka würde ohne Weiteres in eine Phalanx von Soulisten wie Bill Withers, Richie Havens, Al Green, Terry Callier oder Jimmy Ruffin passen - allesamt Sänger, deren Musik Gefühle auf eine sanfte, fast zerbrechliche Art auslotete, die Inspiration aus dem Gospel bezogen haben und sich deutlich von den Bühnenberserkern wie Redding oder WilsonPickett abgehoben haben. Kiwanuka selbst nennt Shuggie Otis als ein wichtigstes Vorbild, weil dieser wie er selbst Gitarre spielt und singt.

Die zehn Songs auf "Home Again" sind überwiegend in langsamem oder mittlerem Tempo gehaltene Nummern. Herausragend sind neben "Tell Me A Tale" die Ballade "Rest", das an frühe 60er-Jahre erinnernde "Bones" und das perfekt abgestimmte "I Won't Lie". Gern hätte man von Kiwanuka auch einen Song gehört, bei dem er mal so richtig abgeht, aber eine Uptempo-Nummer hat er sich für spätere Veröffentlichungen aufgehoben.

Die wird es mit Sicherheit geben, denn seine Plattenfirma Universal setzt auf den jungen Mann aus London. Ganzseitige und teure Anzeigen auf den Rückseiten der Magazine "Mojo" und "Uncut" unterstützen die Marketingkampagne, die sich in Großbritannien schon ausgezahlt hat. "Home Again" schaffte gegen starke KonkurrenzPlatz 4 der Albumcharts, bei der BBC wurde er zum Gewinner der Abstimmung "Sound of 2012" erklärt - einfast untrügliches Indiz für eine große, erfolgreiche Karriere.

Michael Kiwanuka: "Home Again" (Polydor/Universal); http://michaelkiwanuka.com/