John Neumeiers Tänzer nehmen als “Junge Choreografen“ einmal selbst das Heft in die Hand. Solisten und Gruppentänzer mit eigenen Kreationen.

Schauspielhaus. Endlich das Sagen haben. Endlich einmal selbst die Schritte vorgeben und bestimmen, wie eine Choreografie auszusehen hat. Gruppentänzer wie auch Erste Solisten des Hamburg Balletts arbeiten mit Engagement und Feuereifer neben ihrem zweifellos anstrengenden täglichen Pensum noch an eigenen Kreationen. John Neumeier ermutigt seine Tänzer immer wieder, selbst schöpferisch tätig zu sein, und präsentiert seit 1974 in unregelmäßigen Abständen die Ergebnisse aus der Werkstatt seines Ensembles - zuletzt auf Kampnagel und im Vorjahr erstmals auch im Schauspielhaus. Dort gab Neumeiers Compagnie bei der Hamburger Theaternacht 2010 vom Publikum begeistert aufgenommene "Kostproben" aus ihrer Arbeit und den Aufführungen. Der Kontakt zwischen Sprechbühne und Tanztheater war kurz geschlossen.

Heute und morgen Abend geben zehn "Junge Choreografen" im Haus an der Kirchenallee Beispiele für die stilistische Vielfalt der Tanzkunst und die farbenreiche Palette ihrer Ausdrucksmöglichkeiten. Das Spektrum reicht von Florian Pohls Solo "Nobody Sees" für Yun-Su Park zum Titel "Roads" der Trip-Hop-Band Portishead über Sasha Rivas modernen Pas de deux "Equilibrio" bis zu Miljana Vracarics groß angelegter Choreografie "Einflüsse" für zehn Tänzer.

"Wir alle gehen verschiedene Wege, aber egal, wohin wir auch gehen, wir nehmen überall ein wenig voneinander mit", sagt die einzige junge Frau unter den diesmal im Programm dominierenden männlichen Kollegen. Die 27-jährige Jugoslawin bezieht sich in ihrem Stück auf die künstlerische Inspiration wie auch auf die Bereicherung durch menschliche Begegnungen. Sasha Riva, der mysteriöse "Luftballon-Mann" aus Neumeiers "Liliom"-Ballett, tanzt mit der Ersten Solistin Silvia Azzoni zu Mikas "Happy Ending" sein Duo in delikater "Balance".

Der Erste Solist Edvin Revazov zeigt seine Choreografie "Zozula", was auf Polnisch "Kuckuck" bedeutet. Das "Naturkind Parzival" erzählt aus dem Leben der Vögel, skizziert skurrile Szenen aus dem Nest zwischen Aggression und Geborgenheit. Von seiner Kafka-Lektüre ließ sich Alban Pinet zur Choreografie "Vor dem Gesetz" anregen. "Das ist eine Parabel über den Gehorsam und die Passivität der Menschen gegenüber dem Gesetz, das der Türhüter bewacht", sagt der 23-jährige Franzose. Aber auch das Verhalten von Josef K. in Kafkas Roman "Der Prozess" war Vorbild für Pinets Stück, das zwei Paare tanzen. "Die Frauen übernehmen darin die Rolle der Führerinnen für die unsichere Figur des Josef K."

Das Prinzip Freiheit beschäftigt dagegen Aleix Martínez in seinem Stück "Trencadís". Der 19-jährige Katalane, aufgefallen als ungestümer "Liliom"-Sohn Louis, zitiert Antoni Gaudí: "Freiheit ist keine Sache des Denkens, sondern des Willens. Die Liebe zur Wahrheit muss über jeder anderen Liebe stehen."

Der "Ersten Liebe" widmet sich Lennart Radtke. Der in London geborene Deutsche ist bereits als "Junger Choreograf" im Vorjahr mit seiner komödiantischen und augenzwinkernd witzigen Choreografie "My Big Apple in Blue" zu George Gershwins "Rhapsody in Blue" aufgefallen. Er inszeniert zu Ludwig van Beethovens Sonate für Cello und Klavier Nr. 3 die " schüchterne Begegnung und wachsende Liebe" eines jungen Paares. Vermutlich ließ er sich zu seinem neoklassischen Pas de deux für Isadora Valero Meza und Emanuel Amuchástegui von seiner Rolle des schüchternen Mannes in "Liliom" inspirieren, spinnt sie mit den Kollegen weiter aus. Er wagt sozusagen eine Variation auf John Neumeiers Version.

Der Meister ist noch für viele seiner Tänzer Vorbild, beeinflusst sie auch in deren eigenen Werken. Doch ebenso versuchen sich einige von ihrem Idol zu lösen - und ungeachtet der "Einflüsse", nun im "Nest" des Hamburg Balletts flügge geworden, "auszufliegen", reif und selbstbewusst künstlerisch eigene Wege zu suchen und zu gehen.

"Junge Choreografen" Di 27.3. u. Mi 28.3., jeweils 20.00, Schauspielhaus (S/U Hauptbahnhof), Kirchenallee 39, Karten zu 11,- bis 45,- unter T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de