Regisseur Matti Geschonneck macht den spannenden Gerichtsthriller “Das Ende einer Nacht“ zu einem filmischen Glücksfall. Heute im ZDF.

"Der Anwalt will die Wahrheit nicht wissen", hat Ferdinand von Schirach, Staatsanwalt und Bestsellerautor einmal in einem Interview gesagt. Um diese Aussage herum hat Regisseur Matti Geschonneck einen Film konzipiert, besser gesagt: ein Glücksfall von einem Film.

Schon in den ersten Minuten baut sich eine Spannung auf, die so intensiv ist, dass man meint, sie mit den Händen greifen zu können. Eine blutüberströmte Frau versteckt sich vor ihrem wutspeienden, schwitzenden Ehemann im Schlafzimmer der Villa, die Polizei nimmt den Mann wegen des Verdachts auf Vergewaltigung und Körperverletzung fest. Was ist passiert? Um diese Frage kreist "Das Ende einer Nacht" fortan, und es liegt in der Natur des Gerichtsfilms, das die Frage am Ende vielmehr lautet: Wer kann beweisen, was passiert ist? Wer gewinnt, wer verliert?

Geschonneck und sein Autor Magnus Vattrodt (die vergangenen Freitag einen Grimme-Preis für ihr Drama "Liebesjahre" entgegennahmen) haben ein Talent, die Dinge in der Schwebe zu halten, das Erzähltempo abwechselnd zu erhöhen und retardierende Momente einzusetzen. Gut recherchiert im Justizmilieu haben sie ohnehin, in Verhandlungen gesessen, Prozesse begleitet, mit Richtern und mit Verteidigern gesprochen.

"Duell in der Nacht" war der Titel eines früheren Geschonneck-Films, er passt auch für sein neues Werk. Denn im Kern ist dies vor allem das Duell zweier starker Frauenfiguren: Anwältin und Verteidigerin.

Das Duell zweier herausragender Schauspielerinnen ist es darüber hinaus. Ina Weisse spielt die Strafverteidigerin Eva Hartmann, sie trägt Eisdolchblick zum Hosenanzug, lächelt selbst die größte Beleidigung mit bleistiftdünnen Mundwinkeln ins Nirgendwo.

Barbara Auer ist ihr als Richter-Koryphäe Katarina Weiss ebenbürtig. Immer auf den Punkt vorbereitet, auch wenn sie dafür das Mailand-Wochenende mit ihrem Mann (Matthias Brandt, zuständig für die heiteren Momente des Films) sausen lassen muss, immer professionell bis zur Schmerzgrenze. Und gewohnt, am Ende das allerletzte Wort zu behalten.

"Am Ende einer Nacht" ist kein Gerichtsfilm im Stil eines John Grisham, kein sogenanntes Court-Drama. Er wuchert nicht mit Beweisen und Belegen, verlegt sich nicht aufs Protokollstakkato. Mit feiner Genauigkeit pickt er jene Momente heraus, in denen der Prozess kippt. In denen eine scheinbar belanglose Frage einen neuen Blickwinkel auf die Ereignisse freilegt. Er gibt eine Ahnung von der Ruhe, dem Respekt, der fast schon ermüdenden Genauigkeit, die dieser Parallelwelt eigen ist. Das Interesse des Films richtet sich auf die Zerrissenheit der Protagonistinnen zwischen juristischem Pragmatismus und moralischen Skrupeln.

Gibt es neben der Wahrheit auch eine sogenannte moralische Wahrheit? Anders gefragt: Wie weit darf man gehen, um einem Opfer zu seinem Recht zu verhelfen?

All diese Fragen verhandelt Regisseur Matti Geschonneck in 90 wie im Fluge vergehenden Minuten, die wundersamerweise weder aktenstaubtrocken noch verkopft und schon gar nicht moralisierend daherkommen. Der Film lässt ebenso viele Fragen offen, wie er beantwortet, auch deshalb beschäftigt er den Zuschauer weit über das Ende hinaus. Jeder Dialog ist ein Schusswechsel, Blicke und Gesten oft Pointen, mit wenigen, reduzierten Szenen gelingt dem Film eine authentische Schilderung des Gerichtsmilieus wie auch der großbürgerlichen Lebenskreise des Ehepaares, das sich gegenseitig der Lüge bezichtigt.

Es gibt keine Zeugen, Aussage steht gegen Aussage. Ist der Mann (Jörg Hartmann mit dem Wahnsinn im Blick) wirklich ein brutales, schizophrenes Schwein, das sich regelmäßig an seiner Frau abreagiert? Oder ist die Frau (Kathrina Lorenz spricht nur wenig, guckt aber umso intensiver) nur für die Öffentlichkeit ein verhuschtes, verängstigtes Mäuschen, in Wahrheit aber rachedürstend? Dass der Zuschauer schwankt, rätselt, unsicher ist - für die Spannung ist es in jeder Szene ein Gewinn.

"Ich bin nicht Ihre Freundin, ich bin einfach nur der Scheiß-Notarzt", sagt Verteidigerin Hartmann bei der ersten Begegnung zu ihrem Klienten. Wie sich dieses Selbstverständnis auf den Prozessverlauf und schließlich das Urteil auswirkt, wie sich Pflicht und Wahrheit zueinander verhalten, davon erzählt dieser so beklemmende wie unterhaltsame Film. Für die Moral, die sich daraus ergibt, ist jeder Zuschauer selbst zuständig.

"Das Ende einer Nacht", heute, 20.15 Uhr, ZDF