Der ehemalige “24“-Star Sutherland spielt in der Mysteryserie “Touch“ einen Witwer und Vater eines autistischen Sohnes. Pilotfilm am Sonntag.

Im Sommer 1998 hielt der Dichter Hans Magnus Enzensberger auf dem Weltkongress der Mathematiker in Berlin einen inzwischen fast legendären Vortrag: "Zugbrücke außer Betrieb, oder: Die Mathematik im Jenseits der Kultur". Darin beklagt der Zahlenenthusiast Enzensberger die Ignoranz gegenüber dieser Wissenschaft. Im Kreise gebildeter Menschen gehöre es geradezu zum guten Ton, mit der eigenen Begriffsstutzigkeit in Sachen Mathematik zu kokettieren - "wesentlich seltener trifft man Leute, die mit ähnlicher Emphase behaupten, es bereite ihnen schon der Gedanke, einen Roman zu lesen, ein Bild zu betrachten oder ins Kino zu gehen, unüberwindliche Qualen."

Im Prinzip hat sich an dieser Einstellung nicht viel geändert - wer seine Faszination für die Schönheit mathematischer Formeln und die Eleganz mathematischer Beweise zu erwähnen wagt, wird nach wie vor behandelt wie ein Sonderling, "als züchte er Schildkröten oder sammle viktorianische Briefbeschwerer".

Aber mit dem Vormarsch von Computern und Internet hat eine Entwicklung eingesetzt: Der Erfolg von Romanen wie "Die Vermessung der Welt" (über den Mathematiker Gauß) oder Fernsehserien wie "Big Bang Theory" (über eine naturwissenschaftliche Nerd-WG) sind nichts anderes als der Siegesmarsch der Sonderlinge in die Mitte einer verunsicherten Gesellschaft, die einsehen muss, dass die Welt verständlicher wird, wenn man neben Latein und Altgriechisch ein bis zwei Programmiersprachen beherrscht.

Die Fernsehserie "Touch" ist die neueste Zahlenspielerei aus Amerika. Darin spielt Kiefer Sutherland, unser Held aus "24", den ehemaligen Starreporter und nun sorgenschweren Witwer Martin Bohm, der am 11. September 2001 seine Frau verloren hat und seitdem sich und seinen autistischen Sohn Jake mehr schlecht als recht am Leben hält.

Der Elfjährige hat eine besondere Begabung für Zahlen und noch nie ein Wort gesprochen. Mit dem Fernsehzuschauer redet Jake dafür umso mehr und erzählt zu Beginn der Pilotfolge die chinesische Legende vom roten Faden, den die Götter um die Fußgelenke jener Menschen geknüpft haben, deren Leben sich dereinst berühren sollen. Wo andere nur Chaos sehen, erkennt der kleine Jake diesen Faden in Gestalt von Zahlensymmetrien und Ereignismustern, und er begreift es als seine eigene, essenzielle Aufgabe, Menschen von ihrem Schicksal zu erlösen, die unaufhörlich von der Schlechtigkeit der Welt bedroht werden.

Fortan wird Martin Bohm seinem Sohn Jake mindestens 13 Folgen lang (so viele hat der US-Sender Fox vorerst bestellt) bei der Anbahnung glücklicher oder der Verhinderung schrecklicher Ereignisse helfen - der Hermeneutiker als Held, die Rückkehr des Jack Bauer als Papa voller Furcht und Hader.

Vielleicht setzt Sutherland deshalb auf bewährtes Bauerpathos - nur dass seine schauspielerisch doch eher begrenzte Bandbreite in "24" angesichts des Arbeitspensums seines Superhelden Jack Bauer nicht weiter störte. In "Touch" fällt es aber durchaus auf, wenn Sutherland von einem autistischen Kind an die Wand gespielt wird. Das Problem von "Touch" liegt in der Unentschlossenheit der Serie: Die Figuren lavieren zwischen den Ebenen zahlenmystischen Geschwurbels und logischer Erkenntnisse herum, ohne dass das potenzielle Nebeneinander von Parallelwelt und Realität Spannung erzeugt. Die Serie "Heroes", mit denen "Touch"-Erfinder Tim Kring in den USA seinen Ruhm begründete, schuf unvergessliche Helden: Relativ gewöhnliche Menschen, die plötzlich übernatürliche Fähigkeiten an sich entdecken und den Umgang damit auf teilweise sehr komische Weise erst üben mussten.

In "Touch" aber fehlt die wichtigste Variable, ohne die keine Formel für gute Geschichten auskommt, von Anbeginn - interessante Charaktere. Die Serie ist so verliebt in ihre Zahlen, dass sie ihre Menschen vergisst. Auf solche Sonderlinge lässt sich leicht verzichten. Schade um die schönen Formeln.

"Touch" Pilotfilm am Sonntag, 23.40 Uhr, ProSieben, dann jeweils montags 21.10 Uhr