Vor einem Jahr hat Barbara Kisseler die Hamburger Kulturbehörde übernommen. Das Abendblatt zieht eine Zwischenbilanz nach zwölf Monaten.

Hamburg. In seinen ersten zwölf Monaten bekommt der Lack von Politiker-Bilanzen unausweichlich stumpfe Stellen. Der frische Wind flacht zur Brise ab, das Kleinklein des Tagesgeschäfts hinterlässt unschöne Dellen. Bei der Hamburger Kultursenatorin Barbara Kisseler ist das Ausmaß dieses Neuschadensberichts noch gut überschaubar. Das liegt daran, dass die Ex-Berlinerin vieles klug, gut und richtig gemacht hat. Sie Vertrauen zurückerobert und gemehrt. Kisseler hat der Stadtgesellschaft immer wieder auf erfreulich hohem, aber nicht abgehobenem Niveau mitgeteilt, was in dieser Stadt alles möglich wäre, wollte man Kultur hier tatsächlich ernst nehmen.

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Andererseits hat ihre akut geringe Fehlerquote aber auch damit zu tun, dass chronische Probleme nur aufgeschoben sind und bei Weitem nicht geklärt. Oder gar finanziert. Visionäre und damit Kosten verursachende Ideen sind nicht in Sicht. Kisseler stellt sich auf die Langstrecke ein, "das kriegt man im Sprint nicht hin". Also dürfte es wohl auch zu Durststrecken kommen. Dennoch fällt ihr Urteil über das erste Jahr positiv aus, sie fand es "entschieden besser als erwartet. Ich hatte mit einer größeren Problemlage gerechnet, aber es ist ein starkes Pfund, wenn man auf einer konstruktiven Haltung in der Stadt aufbauen kann. Allen ist klar, dass wir nicht nur eine Baustelle - die im Hafen - haben, sondern mehrere."

Wer kaum etwas nach eigenem Gusto gestalten und bezahlen kann, dem kann auch nur wenig misslingen. Erst recht nicht, wenn man erfahren muss, dass es in der Hamburger Kulturlandschaft einen Sanierungsstau von 100 Millionen Euro gibt. Der Profilierungsstau ist noch gar nicht mitgerechnet. Was bleibt, ist Mängelverwaltung.

Als sie am 23. März 2011 ihr Amt antrat, übernahm die frühere Chefin der Berliner Senatskanzlei viele kleine und große sowie zwei monumentale Probleme: das Schuld- und Kosten-Chaos bei der Elbphilharmonie und die Reform der Museumsstiftungen. Ein Jahr später ist fast alles noch wie gehabt.

Bei den Museen sind zukunftsweisende Klarheit oder Planungssicherheit nicht zu entdecken, denn die aktuelle, bis Ende 2012 angesetzte Entschuldung mit acht Millionen Euro beseitigt die strukturellen Defizite der Häuser nicht. Der Kunsthalle gab Kisseler es dennoch in einem "taz"-Interview schriftlich, dass sie "im Moment mit den zur Verfügung gestellten Mitteln auskommt". Sie habe 2011 eine schwarze Null geschrieben und ihr Defizit-Problem gelöst. Der zweite Teil dieses Satzes ist, vorsichtig ausgedrückt, eher eine Ansichts- als eine Tatsache.

Bei der Elbphilharmonie ist, trotz des juristischen Armdrückens mit dem Baukonzern Hochtief, unklar, wer das Kind so abgrundtief in den Brunnen geworfen hat, was das Ganze die Stadt noch kosten mag und in welcher Dekade dieses Jahrhundertbauwerk tatsächlich eröffnet wird. Vor fast genau fünf Jahren, Anfang April 2007, fand die symbolische Grundsteinlegung statt, im Vergleich zur Gegenwart war die Stimmung damals mehr als euphorisch.

Trotz so viel Unbewältigtem wirkt die aus der Hauptstadt importierte Überzeugungspolitikerin erstaunlich optimistisch. Die parteilose Kisseler hat sich mit dem vermeintlichen Nischenthema "Kultur als Imagefaktor" im Scholz-Senat etabliert. Natürlich sind nicht nur alte Probleme geerbt worden, sondern hier und da auch neue entstanden. Wie soll man mit dem berechtigten Unmut am Thalia umgehen?

Der neuen Schauspielhaus-Intendantin Karin Beier, die 2013 antritt, wurde unter anderem ein Ausgleich der Tarifsteigerungen zugesagt, während Joachim Lux immer noch darauf wartet, dass entsprechende Zusagen an ihn wahr werden. "Das kann nicht sein", sagt er, "das macht das Theater auch nicht mit." Wer soll ab 2015 die Nachfolge von Simone Young als Generalmusikdirektorin antreten? Und wer übernimmt, getrennt davon, die Staatsopern-Intendanz? Den Fehler dieser überfordernden Personalunion wird die Stadt Hamburg so schnell wohl kein zweites Mal begehen. Je länger die Niveaukrise des einst überregional beachteten Opernhauses noch dauert, desto geringer die Chance auf Spitzenkräfte. Sollten sie gefunden werden, bestehen sie garantiert auf eine Mitgift, denn Beier erhandelte sich aus einer unschlagbar guten Position heraus ihr Begrüßungsgeld. Es ging also.

Auch die Kunsthalle hat eine Leerstelle in der Chefetage. Seit Langem wird ein neuer kaufmännischer Geschäftsführer gesucht, aber nicht gefunden; eine weitere Lücke findet sich in der neu entworfenen Struktur der Stiftung Historische Museen. Es soll ein Generaldirektor an der Spitze der Stiftung installiert werden, der ab 2014 die Angebote der Häuser so aufeinander abstimmt, dass jedes davon profitiert.

Das Filmfest soll mehr Geld erhalten, um sich endlich angemessen zu mausern. Nicht aufgegeben ist die Hoffnung, den Museen einen zentralen Kulturspeicher zu beschaffen, im dem gelagert und restauriert werden kann. Das ehrgeizigste Ziel ist und bleibt aber die Verwandlung Hamburgs in eine Musikstadt, bei der dieser Name gelebte Realität ist, und wenn sie besonders weitblickend und mutig sein will, könnte Barbara Kisseler darüber nachdenken, dass selbst die Ära John Neumeier beim Hamburg Ballett einmal ein Ende haben könnte.

Beim derzeitigen Haushalt, einer überarbeiteten Version der CDU/GAL-Pläne, konnte sich die Kultursenatorin trotz ihres Premieren-Bonus und der Rücknahme von Kürzungen keinerlei große Sprünge leisten. Spannend und wegweisend wird sein, wie weit sie ihr Verhandlungsgeschick beim Doppelhaushalt 2013/14 bringt. Da muss sich zeigen, wie viel politische Wertschätzung die Kultur im Senat tatsächlich genießt, wenn es um den Alltag geht und nicht mehr um heroische Rettungsaktionen mit Wahlkampf-Aroma. Weit vorn auf Kisselers Agenda ist das Problem der Tarifsteigerungen in den Staatstheatern. "Wie ich diese Quadratur des Kreises löse, weiß ich noch nicht." Der "therapeutische Prozess", den sie an ihrem ersten Tag als Kultursenatorin ankündigte, hat gerade erst begonnen.