Der wunderbare Mayer Hawthorne lässt sich im ausverkauften Klubsen als Erneuerer des Soul feiern. Früher spielte er Heavy Metal.

Hamburg. Ein gespaltenes Herz mit den Initialen "MH" prangt gut sichtbar auf dem Drumset. Im Pop geht es, wenn er denn gelingt, ja eigentlich immer um das eine: in Melodie verpackten Liebesschmerz. Kommt er auch noch so swingend und groovend daher. Die vier Musiker, die zum betörenden Intro auf die Bühne des ausverkauften Klubsen wanken, kombinieren Hemd und Krawatte zu glutrotem Pullover. Der Meister selbst trägt Schwarz.

In aller Gemütsruhe platziert Mayer Hawthorne erst einmal eine kleine bebrillte Puppe, eine Miniaturausgabe seines Selbst, auf dem Mikrofonständer. Wer dem dann losbrechenden Soul-Gewitter lauscht, ohne des Künstlers ansichtig zu werden, staunt nicht schlecht. Diese bleiche halbe Portion soll diesen hitzigen Motown-Soul entfesseln? Im schwarzen Samt-Smoking mit extradicken Turnschuhen tänzelt Hawthorne ums Mikrofon. Mal linkisch, mal mit Gitarre, immer lässig bis zum Anschlag. Und das Wunder geschieht. Dieser Crooner mit der Aura eines Staubsaugervertreters reißt die Massen zu höchster Euphorie hin.

Der Mann aus Michigan, der mit seinen beiden Alben "A Strange Arrangement" und "How Do You Do" als Erneuerer des Soul und nach dem Ableben von Amy Winehouse als männliche Retro-Hoffnung gefeiert wird, hat keine große Stimme. Aus ihr spricht keine verletzliche Dringlichkeit. Erst recht kein Dämon.

Eher die etwas naive Kindlichkeit eines 33-Jährigen, der seine Ahnen gut studiert hat. Der das Knistern von Smokey Robinson und den Falsettgesang von Curtis Mayfield verinnerlicht hat. Und natürlich den verehrten Dreiklang des Produzenten-Trios Holland/Dozier/Holland, das einst die Sounds von Superbands wie Martha and the Vandellas, den Four Tops, den Supremes oder Marvin Gayes veredelte. Bei Plattenaufnahmen singt Mayer Hawthorne, bürgerlich Andrew Mayer Cohen, in die Hörmuschel eines alten Kopfhörers und spielt sämtliche Instrumente mithilfe eines betagten, stark rauschenden Mischpultes selbst ein.

+++ Mayer Hawthorne ließ die Seele überschwappen +++

Live hat er mit der vierköpfigen Band The County eine verlässliche Truppe zur Seite, bei der vor allem der seinen beachtlichen Afro wiegende Bassist mit Funk-Brille hervorsticht. Schon bei "Maybe So, Maybe No" wähnt man sich beim guten alten Detroiter Motown-Sound mit der funky Gibson, den Chören und den Liebesschwüren.

Ob Motown, Stax, Soft Soul der 70er-Jahre oder der Orchestra Soul aus Philadelphia, Hawthorne ist ein stilsicherer Wanderer zwischen allen Schattierungen. Kaum ein Song durchbricht die Schallmauer von zwei Minuten. Es geht Schlag auf Schlag. "Love In Motion", "You Make My Dreams", "Get Out Of My Life Woman". Rasch kommen so über 20 Songs zusammen. Das Drumset scheppert. Die Gitarre schmatzt. Die Funk-Hitze, das Fieber steigt.

Nur gelegentlich gönnt Mayer Hawthorne seinem Publikum eine Pause. In der Ballade "I Wish It Would Rain". Oder der elegant walzenden neuen Single "The Walk". Ansagen gibt er kaum. "Dieses Lied handelt ausschließlich von Sex", kündigt er das feurige "No Strings" an. Und wirkt selbst dann noch wie ein auf der Reeperbahn verirrtes Kind. So sehr das alles nach Retro und Sixties klingt, so sehr ist es in den Arrangements durchzogen von feinen Fäden der 80er-Jahre.

Hawthorne ist ein Partyhengst, aber auch ein Spaßvogel, der auf gut der Hälfte des Abends zur "Picture Time" lädt und sich mit der Band in exaltierte Posen wirft. Um kurz darauf das Fotografieren ganz zu verbieten. Er scheint sich die ganze Zeit in sich hineinzufreuen. Dabei künden die elegant-geschmeidigen Arrangements seiner Songs auch von einer zum Äußersten entschlossenen Ernsthaftigkeit. Am betörendsten in dem melodischen "A Long Time". Und wenn er in seinem vielleicht besten Song, "Green Eyed Love", von jener Frau singt, von der alle behaupten, sie sei nicht gut für ihn, er weiß es natürlich besser: Sie ist längst in seinem Blut.

Hawthorne kokettiert mit seinem Nerd-Image. Oder hat schon mal jemand einen Soulbrother mit derart kantigen Glasbausteinen auf der Nase gesehen? Auf der Highschool hat er noch Matte getragen und Heavy Metal gespielt. Mit der gleichen Intensität und der gleichen Hingabe. Später hat dieser Junge aus Michigan, der sich DJ Haircut nannte, täglich ein paar Runden auf dem Skateboard gedreht und Hip-Hop-Tracks produziert. Dieses Faible für schwer lastende Beats äußert sich nicht minder verführerisch in dem lasziven "Can't Stop", bei dem Snoop Dogg ihm zur Seite stand.

Am Schluss des Hauptsets geschieht dann das Ungeheuerliche. Ein Büstenhalter fliegt auf die Bühne. Mayer Hawthorne quittiert das mit einem etwas verlegenen Grinsen. Vielleicht ist er auch schon zu geschafft. Mehr als eine Zugabe ist am Ende dieser hitzigen Nacht leider nicht drin. Schnell greift er nach seiner Puppe und zieht von dannen. Aber das Publikum fühlt sich auch so allemal geherzt genug.