David Guterson hat mit seinem fünften Roman “Ed King“ eine moderne Ödipus-Adaption verfasst. Heute Abend liest der Autor in Hamburg.

Heymann. Noch bevor die ersten Rezensionen erschienen, sorgte David Gutersons fünfter Roman "Ed King" in einer Weise für Aufsehen, die sich sein Autor sicher nicht erträumt hat. Er erhielt den "Bad Sex in Fiction Award" des Magazins "Literary Review". Eine Szene begeisterte die Jury, in der eine Mutter mit ihrem Sohn in einer unbewussten ödipalen Situation Sex hat und "die Fingerspitze das Niemandsland zwischen der guten Stube und Hintertür fand".

Guterson, dessen Ruhm als Schriftsteller sich auf dem Mitte der 90er-Jahre erschienenen Erstling "Schnee, der auf Zedern fällt" begründet, hatte starke Konkurrenz mit Haruki Murakami und Stephen King. Guterson nahm die Auszeichnung mit Humor. Die Szene ist ohne Zweifel Ausdruck der sprachlichen Kunstfertigkeit des US-Schriftstellers, der sein neues Werk heute selbst in der Buchhandlung Heymann vorstellt. Bevor es zu besagter Szene kommt, warnt er den Leser. Der Roman verlässt seinen lakonisch dahinjagenden Ton. Es wird ernst.

Die Transformation des Ödipus-Mythos, wie ihn einst Sophokles in seinem Drama "König Ödipus" verewigte, sie ist nicht neu. Schon Sigmund Freud befand in der "Traumdeutung", dass das sexuelle Begehren der eigenen Mutter und die Wut auf den Vater den modernen Mann nachhaltig fasziniere. Wie etwa Max Frisch in "Homo Faber" beginnt "Ed King" mit dem Einbruch des Lebens in ein festgezurrtes Weltbild. Wenig beschönigend beschreibt Guterson, wie der Versicherungsmathematiker Walter Cousins 1962 in Seattle einen folgenschweren Fehler begeht. Er verfällt einem minderjährigen Au-pair-Mädchen. Ein Sohn entsteht. Er wird sich im sicheren Umfeld einer jüdischen Adoptivfamilie neben einem hochbegabten Bruder zu einem millionenschweren Softwareexperten entwickeln. Und nach Jahren mithilfe eines Supercomputers namens Cybil, einer Art modernem Orakel von Delphi, seiner Herkunft auf die Spur kommen, was seinen Untergang besiegelt.

Seine Kritik an Glamour, Jugendwahn, Medienmacht, Eitelkeit und Geld, die eine hybride Gesellschaft wie jene Amerikas korrodiere, verpackt Guterson in manch unterhaltsamen, lakonischen Satz. Die Allmachtsfantasien Ed Kings tragen mit zu seinem Untergang bei. Das Anliegen des Autors ist zugleich das Problem des Romans. Zugunsten dieser Botschaft verzichtet er auf manch auserzählte Szene und tiefere Emotionalität. Gleichzeitig stellt er uneheliche Kinder, Adoption, Inzest und dysfunktionale Verwandtschaftsstrukturen auf eine Stufe. Die des Verhängnisses für den heiligen Gral der amerikanischen Familie. Auch wenn er dicht an seinen Figuren bleibt. Sympathisch werden sie einem nicht.

Walter, gefangen in einem halbgaren Lebensentwurf, zahlt jahrelang für seinen Sohn, nicht wissend, dass sich Ex-Au-pair Diane des Kindes zugunsten einer Karriere als Callgirl und später Gattin eines wohlhabenden Skifabrikanten entledigt hat. Dessen selbstgerechte Sicherheit bekommt sie zu spüren, als ihre erlogene Biografie auffliegt. In kurzen, kühl erzählten Schlaglichtern begleitet Guterson Ed King und seinen jüngeren Bruder Simon durch Kindheit, erwachende Sexualität, Uni und schließlich die Straße des vermeintlichen Erfolgs.

Manche Wendung mag da konstruiert anmuten. Wie im Mythos wird Ed King den Tod seines Vaters befördern. Das verdaut er schlecht. Als er schon jenseits der 50 gewahr wird, dass er adoptiert wurde, versucht er sich zunächst mit diesem Wissen einzurichten. Die vom Orakel verkündete Wahrheit aber bringt sein Innerstes zum Einsturz. Am Ende blendet er sich selbst durch die Wahrheit. Die Verzweiflung, die ihn in dem dann folgenden Showdown ergreift, hat wahrhaftig die Durchschlagskraft einer antiken Tragödie.

David Guterson liest aus "Ed King" (mit Christian Brückner) heute, 20.30, Buchhandlung Heyman (U Kellinghusenstraße), Eppendorfer Landstraße 77, Karten 12,-, Reservierung unter T. 48 09 30