Interessant, spannend, ungewöhnlich: Jason Morans Jazz-Solokonzert in der Laeiszhalle gibt wiederholt Anlass zum Nachdenken.

Hamburg. Sein weltberühmt gewordenes "Köln Concert" gab Keith Jarrett vor 37 Jahren. Es war nicht der erste komplett frei improvisierte Soloabend eines Pianisten, aber in ihm manifestierte sich beispielhaft eine Entwicklung der 70er-Jahre: Jazz entstand nicht mehr nur im Zusammenspiel mit anderen, und er forderte so ungeteilte Aufmerksamkeit wie der Sonatenabend eines klassischen Interpreten. Es ist gewiss nur Zufall, dass der amerikanische Pianist Jason Moran am 21. Januar 1975 geboren wurde, exakt drei Tage vor Jarretts legendärem Auftritt in Köln; bei seinem Solokonzert am Sonntagabend im kleinen Saal der Laeiszhalle gab Moran jedoch wiederholt Anlass zum Nachdenken über den inzwischen gewaltigen historischen Abstand zum einstigen Referenzpunkt des improvisierten Solospiels am Klavier.

Auch in seinem Spiel bricht sich der Intellekt manchmal als Naturereignis Bahn, doch der Kopf behält fast immer die Oberhand. Moran ist kein Ekstatiker, kein Prediger an den Tasten. Nur einmal, als er minutenlang eine Kuhglocke überm Resonanzraum des Flügels kreisen ließ und im Bass dazu Obertöne aus dem Instrument heraushämmerte, schien er vorübergehend ins Außerplanetarische entrückt.

Moran begann den Abend, den er, als sei er sein eigenes Education-Projekt, sehr angenehm durchmoderierte, mit einer ungeheuer diszipliniert anmutenden Meditation über Thelonious Monks "Crepuscule With Nellie", und unorthodoxe Erscheinungsformen der Disziplin prägten dann das ganze Konzert. Moran ließ Songs wie "Body And Soul" in einer von ihm bevorzugten Interpretation oder eine von Gladys Knight gesungene Soul-Nummer von der Festplatte laufen, um dazu am Flügel wahlweise die Melodie mitzuspielen, sie zu harmonisieren oder zu variieren. Ein Stück bestand aus dem Mitschnitt eines Handytelefonats zweier Türkinnen, deren Sprachmelodie und Phrasierung Moran exakt mitvollzog, ein anderes aus dem re-musikalisierten Mitschnitt der japanischen Börsennachrichten. Selbst das Geflirr und Geknister der Handyverbindung übersetzte er noch in Klaviertöne. Als misstraute Moran (noch) der Alleingültigkeit der eigenen Eingebung, machte er sich immer wieder zum Dienstleister gegenüber der Sprache Abwesender.

Monk war von Anbeginn Morans große Inspiration, den Harlem-Stride-Pionier Fats Waller entdeckte er erst vor Kurzem für sich. Entsprechend hartnäckig verfiel Jason Moran in seinen Improvisationen immer wieder in die hüpfenden Bässe und die Munterkeit suggerierenden Akkordfolgen und Melodien à la "Ain't Misbehavin'". Wo die Bögen bei Jarrett früher endlos schienen und erst minutenlanges Gewühl in der Tastatur finale jubelnde Katharsis versprach, sind Morans Stücke manchmal knapp und zugespitzt wie Epigramme. Er mag auch Tremoli mit der rechten Hand, aber häufiger sticht er mit ihr scharfkantige Kantilenen aus der Tastatur. All seine Kontextualisierungen sind interessant, spannend, ungewöhnlich. Aber wo dieser Pianist ganz er selbst ist, das gab er nicht preis.