Die Buch-Polemik “Der Kulturinfarkt“ löst heftige Widersprüche aus. Die steile These: Die Hälfte aller Theater, Opern und Bibliotheken schließen.

Hamburg. Schon vor seiner morgigen Veröffentlichung hat das Buch "Der Kulturinfarkt" durch eine Vorabveröffentlichung im "Spiegel" (wir berichteten) für Empörung in der deutschen Kulturszene gesorgt. Die steilste These: Man sollte die Hälfte aller Theater, Opern und Bibliotheken schließen.

Die "FAZ" demontierte das Buch unter der Überschrift "Der Denkinfarkt". "Man kann Bücher wie dieses abtun als das Werk eines Clubs ergrauter Kulturfunktionäre, die noch einmal die rhetorische Harley rausholen und mit mattem Thesenknattern um den eigenen Block fahren wollen. (...) Was die Autoren vor allem vorführen, ist die Verwüstung, die marktorientiertes Denken in der Sprache anrichtet."

Die "Süddeutsche" argumentierte: "Kein Feind des notorisch unzuverlässigen Künstlervolks wird aus dem Buch rechten Gewinn schlagen können, da es im Grunde unlesbar ist: schwammig in der Zustandsbeschreibung, unklar in der Polemik. (...) Das Buch verschenkt die Gelegenheit, einen Streit anzuzetteln, der sich lohnt." Die "Welt" wird heute deutlicher. Der Quatsch mache es sehr leicht, die Kritik der Autoren wegzuwischen. "Das ist bedauerlich. Denn sie stellen die richtigen Fragen. Ist es wirklich gerechtfertigt, in einem Land, dessen Bevölkerung schrumpft und dessen finanzieller Spielraum schwindet, ausgerechnet die Kultur zur unantastbaren heiligen Kuh zu erklären?"

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Bei den Betroffenen regte sich bundesweit Widerstand. "Warum soll eine leistungsorientierte Kulturindustrie innovationsfreudiger sein?", fragte Thomas Ostermaier, Intendant der Berliner Schaubühne, in 3Sat. In der "FAS" stellte Hortensia Völckers, künstlerische Direktorin der Bundeskulturstiftung, die Frage: "Kann es zu viel Kultur geben?" Auch Hamburgs Kultursenatorin Barbara Kisseler ist eindeutig. "Etwas mehr Lust an der konstruktiven Auseinandersetzung als Lust an der puren Provokation wäre hilfreich gewesen", sagt sie. "Wenn Lösungen so einfach wären, könnte Kulturpolitik am Küchentisch gemacht werden", meinte der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann.

Buchautor Stephan Opitz, im Kieler Kulturministerium tätig, legte mittlerweile nach: Man setze sofort voraus, dass ein Theater schließen müsse, wenn keine Steuergelder mehr fließen. Das sei falsch. "Wenn Sie sich die Verteilung der Theatergelder in Hamburg angucken, sehen Sie, dass die Zuschüsse von Schauspielhaus und Thalia gegenüber dem Ernst-Deutsch-Theater und den Kammerspielen exorbitant hoch sind." Mitautor Dieter Haselbach zog dagegen Konsequenzen. Er setzte, entnervt von den Reaktionen, seine Geschäftsführer-Tätigkeit beim "Zentrum für Kulturforschung" in St. Augustin aus.

Zur Abrundung des Streits, den der "Spiegel" vom Zaun brach, darf Berlins Kulturstaatssekretär André Schmitz dort in der aktuellen Ausgabe Kontra geben: "Grabenkämpfe von vorgestern mit neoliberalen Argumenten von gestern." Es erstaune, "welchen Popanz die Autoren aufbauen".