Broder provoziert auch mit seinem neuem Appell “Vergesst Auschwitz!“ - aber er hat ein Anliegen: “Denkt an Israel, bevor es zu spät ist“.

Leipzig. Öfter schon ist Henryk M. Broder als "heiterer Provokateur" bezeichnet worden, dabei geht es ihm doch immer um überaus ernste Dinge. Der Mann ist eine - notwendige! - Nervensäge; die Beleidigung würde er sich gerne gefallen lassen. So er denn mit seinen Thesen auf Gehör stößt. Das gelingt dem 65-Jährigen eigentlich immer. Warum das so ist? Weil er wirklich sehr, sehr pointiert ist. Sein neues Buch heißt "Vergesst Auschwitz!"

Der Untertitel ist auch nicht schlecht: "Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage". Wahn! Endlösung! Der Mann mag Reizworte. In den Feuilletons muss er trotzdem dieser Tage hintanstehen: Ausgerechnet das ebenfalls im Knaus-Verlag erscheinende Buch "Der Kulturinfarkt" hat derzeit die thematische Hoheit. Dabei ist Broder, der geübte Scharfmacher, noch polemischer. "Vergesst Auschwitz" ist eine bitterböse Abhandlung, ein mit Sarkasmus und Spitzzüngigkeit verstärkter Befreiungsschlag, mal aus dem Stand, federnd und witzig, mal mit Anlauf, gemein, fies und unsachlich - aber immer genau gezielt.

Broder hat es, wie er sagt, nicht geschrieben, um etwas zu verändern, sondern um sich selbst über einige Dinge klar zu werden. Grob gesprochen (ein Grobian ist Broder ja auch), wirft der Autor in "Vergesst Auschwitz" einem nicht unerheblichen Teil der Deutschen vor, eine aggressive Einstellung gegenüber Israel zu haben.

Die allfällige Israel-Kritik findet Broder besonders bei der Linken - er hat vor Jahren mit ihr gebrochen. Der Antisemitismus trägt heute, sagt Broder, das Gewand des Antizionismus; er äußere sich vor allem im "FAZ" oder die "Süddeutsche Zeitung" lesenden Bürgertum. Broder: "Die Deutschen sind dermaßen damit beschäftigt, den letzten Holocaust nachträglich zu verhindern, dass sie den nächsten billigend in Kauf nehmen."

Wer derlei behauptet, ist ein gefragter Gesprächspartner. Broders Terminplan auf der Buchmesse in Leipzig war einigermaßen voll, und als er schließlich das Podium der "Leipziger Volkszeitung" betrat, war er schon ziemlich warmgelaufen - freilich hinsichtlich seiner Fähigkeit, ein Publikum mit selbstironischen Bemerkungen zu unterhalten. Dass er hier in einer "Autoren-Arena" betitelten Veranstaltung war, merkte man dem erstaunlich handzahmen Broder gar nicht an.

+++ "Kulturinfarkt": Von Mäusen und Menschen +++

Im Publikum saßen Grauhaarige, aber auch viele junge Menschen: Vielleicht gerade letzteren, den Nachgeborenen, gestand der doch eigentlich ganz umgängliche Mann, dass der Antisemitismus seine Obsession sei. So ganz koscher ist ihm seine beständige Austeilerei also nicht. Die deutsche Kritik an Israel ist für Broder trotzdem, gelinde gesagt, ein maximales Ärgernis: "Viele meinen, Israel Ratschläge geben oder für die Palästinenser eintreten zu müssen - aber für Syrien zum Beispiel geht kein Deutscher auf die Straße."

Im Gegenteil versuchten sich die Deutschen durch ihren Gedenkstättenkult (Broder: "Auschwitz ist ein obszönes Disneyland") zu immunisieren, und genau dadurch verkomme das ritualisierte Gedenken zur leeren Geste. Und er geht noch weiter. Das Tätervolk der Deutschen, so Broder (erstes Buch zum Thema: "Der ewige Antisemit - Über Sinn und Unsinn eines beständigen Gefühls"), nähme sich gerade aufgrund seiner Geschichte das Recht heraus, die israelische Besatzungspolitik zu geißeln.

Und je mehr Israel in der Kritik stünde, erklärt Broder einem ziemlich freundlichen Publikum, desto besser gehe es den Deutschen. Die wiederum hielten mit Wonne den Kindern der ermordeten Juden vor, sie benähmen sich schlecht - und verharmlosen gleichzeitig die Äußerungen der Palästinenser und die des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, die allesamt das Existenzrecht Israels abstritten. Wer so denkt, ist in der Tat zu kritisieren; aber ist der permanent Alarm machende Broder nicht ein hoffnungsloser Übertreiber? In Leipzig holten sie sich nach der Veranstaltung Autogramme von Broder und ließen sich gerne das Buch signieren. Das sollen alles notorische Israelkritiker sein? Wohl kaum. Und doch fällt es schwer, Broder bei den Hörnern zu packen. Wer weiß schon, ob das Pulverfass Nahost nicht irgendwann doch explodiert. Bis auf Weiteres muss Broders bissiger Appell "Vergesst Auschwitz! Denkt an Israel - bevor es zu spät ist" eine Mahnung sein.