René Polleschs “Die Kunst war viel populärer ...“ am Schauspielhaus ist nur noch beliebiges Theoriegebrabbel. Man fragt sich, was das Ganze soll.

Hamburg. René Pollesch ist so etwas wie der Igel im Hase-und-Igel-Spiel an den deutschen Theatern: Er ist immer schon da. Pollesch und seine gern kapitalismuskritischen Diskurse werden in Berlin und Hamburg, in Wien, Zürich, Frankfurt, Stuttgart und demnächst auch wieder in München gespielt. Pollesch ist Herr über eine Serieninszenierungsfabrik, ein Sample-Regisseur von Versatzstücken. Seine Themen kreisen um die unglückliche Bindung des Einzelnen an die Konsumgesellschaft.

Fast immer hasten, schreien und argumentieren da Schauspieler auf der Bühne, die keine Rollen interpretieren, sondern die sich unverdaute Textbrocken an den Kopf werfen. Selten genug gibt es Rede und Antwort, meist hat das, was der eine sagt, nichts mit dem zu tun, was ein anderer sagt. Dialogtheater war gestern.

Pollesch, der Angewandte Theaterwissenschaften in Gießen studierte, ist der exponierteste Vertreter einer Schule, die nichts mehr mit psychologischem Theater oder Realismus auf dem Theater zu tun haben möchte. Hier wird behauptet, nicht dargestellt, und um Illusionen geht es nur rein theoretisch, im Diskurs. Seinen großen Durchbruch erlebte René Pollesch in den Nuller-Jahren am Deutschen Schauspielhaus, als es von Tom Stromberg geleitet wurde. Da inszenierte er die "www.slums 1-7", die sich wild überdreht mit der Vermischung von öffentlichem und privatem Raum auseinandersetzten.

Jetzt kommt René Pollesch mit seiner jüngsten Inszenierung, einer Koproduktion mit der Berliner Volksbühne, "Die Kunst war viel populärer als ihr noch keine Künstler wart!" ans Schauspielhaus zurück.

Irgendwie geht es da um Kunst und deren Bedeutungsverlust, um Wahrheit und gesellschaftliche Forderungen nach Flexibilität. Die gute Nachricht ist, dass der Abend nur etwas länger als eine Stunde dauert. Die schlechte ist, dass selbst zur Premiere das Theater nicht ausverkauft war. Haben all jene Zuschauer, die nicht gekommen waren, gewusst, dass dieser wirre Abend ohne Inszenierungslinie, der sich sehr abstrakt mit dem Fluch der Selbstverwirklichung, mit Attraktivität und Schmerz beschäftigt, so beliebig werden würde, dass man ihn auch gleich wieder vergessen kann?

Wir erleben Schauspieler, die sich in eine Oper verirren, sich dort verlieren und nie mehr herausfinden. Alle spielen irgendwas, wechseln die Kostüme. Die drei Bühnenprospekte - eine naturalistische Burgkulisse aus einer "Hamlet"-Inszenierung von 1866, eine Fototapete eines Kinos und ein Plakat mit "Don't look back"-Aufschrift - fahren gefühlte 80-mal rauf und runter. Dazwischen agieren Marc Hosemann als wild gewordener, Bühnennebel abfeuernder Impresario in Arztkittel und Strumpfhose, sowie als Diven Silvia Rieger, Marlen Diekhoff, Catrin Striebeck und Christine Groß mit allerlei Theorietraktaten über den Fluch, kreativ sein zu müssen. Die Souffleuse steht mit auf der Bühne und wird von Hosemann gelegentlich angesteuert.

+++ Die Marx Brothers und das Kapital +++

Es fallen Sätze wie "Wenn das Libretto von einer Prostituierten handelt, die sich in der Gosse umbringt, dann können wir ja Herrn Ibsen in Oslo kontaktieren" oder "Ich will lieber zu Hause attraktiv sein". Antwort: "Identifizieren Sie sich mal wieder mit ihrem Können und nicht nur mit ihrem bedrohten Arbeitsplatz." Man wälzt sich übereinander oder rennt an der Vorderbühne vorbei, auf der sich plüschrote Sessel und ein Dirigentenpult stapeln. Catrin Striebeck kreischt: "Ich bin überfordert mit meiner Attraktivität", und Hosemann antwortet mit einer Stimme, so rau wie die von Aale-Dieter: "Ich fühl mich ganz gut mit entfremdeter Arbeit, da kann ich, wenn ich nach Hause komme, ganz ich selbst sein."

Szenisches Projekt nennt man so was wohl, auf jeden Fall Performance. Pollesch spuckt diese Art von popmodernem Hochgeschwindigkeitstheater, zusammengesetzt aus Theoriedebatten, beinahe im Monatsrhythmus aus. Die Texte von "Die Kunst war viel populärer ..." stammen zum großen Teil aus einem Aufsatz von Kulturtheoretiker Diedrich Diederichsen und dem Sammelband "Kreation und Depression". Viel Theoriegebrabbel, im Theater möchte man eigentlich lieber etwas Sinnliches sehen. "Kreation und Depression" wäre wohl insgesamt ein passenderer Titel dieses Abends gewesen.

Schon sehr früh, eigentlich gleich zu Beginn, wenn eine im Kostüm verwickelte Darstellerin zu Opernarien rückwärts auf die Bühne stakst, fragt man sich, was das Ganze soll. Es dient weder der Unterhaltung noch der Erkenntnis oder gar der Kunst. Gerade erst haben vier Kulturkritiker ein Buch verfasst, in dem sie fordern, man könne doch die Hälfte aller Theater in Deutschland schließen, es würde sowieso überall das Gleiche stattfinden. Eine Irrsinnsidee.

Eine Irrsinnsidee? Warum es überall so viel Pollesch-Theater gibt, das versteht man allerdings wirklich nicht.