Der Autor und Regisseur René Pollesch bringt “Die Kunst war viel populärer, als Ihr noch keine Künstler wart!“ am Schauspielhaus heraus.

Schauspielhaus. Der Künstler als Idealtypus des kapitalistischen Lebensstils? Nein, das ist kein Widerspruch. Die Tugenden des Kapitalismus, sie lauten Eigenverantwortung, Flexibilität, Mobilität und Kreativität. Anforderungen, die die meist freiberuflichen Künstler seit jeher erfüllten und gegenwärtig auch jeder Schuhverkäufer beherrschen soll. "Wer nicht kreativ ist, gilt als Langeweiler", sagt der in Berlin lebende Autor und Regisseur René Pollesch. "Heute muss jeder frei und expressiv wie ein Künstler sein."

Gerade dem ICE entstiegen, benötigt er nur eine halbe Zigarettenlänge, um die sich überschlagende Gedankenmaschine anzuwerfen. Für Pollesch haben sich die Verhältnisse längst umgekehrt. Heute sitzen die "Kreativen" im Publikum. Auch an diesem Sonnabend, wenn die Hamburger Premiere seines Stückes "Die Kunst war viel populärer, als Ihr noch keine Künstler wart!", eine Koproduktion mit der Volksbühne Berlin, am Schauspielhaus steigt.

Das rasante Diskurs-Theater des René Pollesch, bei dem sich gedankliche Tiefenschärfe und Theatralik aufs Herrlichste beflügeln, ist weiter gefragt. 1999 thematisierte er in "Heidi Hoh" Ausbeutungsverhältnisse der freiberuflichen Arbeit und landete einen Überraschungshit. Zuvor pflasterten die Texte des frustrierten Absolventen des Gießener Studiengangs Angewandte Theaterwissenschaft wie Blei die eigene Wohnung. Die ökonomische Durchdringung aller Lebensbereiche, sie wurde zu Polleschs Marke. Sieben bis acht Stücke bringt der 49-Jährige heute pro Jahr heraus und inszeniert sie selbst.

Bei den Mülheimer Dramatikertagen ist er Stammgast. Kürzlich erhielt (nach "Stadt als Beute", "Insourcing des Zuhause - Menschen in Scheißhotels" und "Sex", 2002) sein Stück "Kill your Darlings! Streets of Berladelphia" eine Einladung zum Berliner Theatertreffen. "Die Globalisierung wurde in den 90er-Jahren im Theater noch immer wie bei Kroetz im Wohnzimmer verhandelt", sagt Pollesch. "Der Vater trinkt, die Mutter kommt auf keinen grünen Zweig. In meinem Theater geht es um einen Widerspruch, in dem viele nach dem Ende der geregelten Arbeit lebten." Das sehe häufig gut aus, entpuppe sich aber als eine freiheitlich verkaufte Selbstausbeutung.

Pollesch sieht sich nicht als Dienstleister, der auf der Bühne für ein schuldbewusstes Publikum die Unbill des Neoliberalismus verhandele. "Ich glaube nicht an den neutralen Status des Künstlers. Der sitzt vielleicht im Keller und malt Bilder von Näherinnen in Indien und merkt nicht, wie prekär er selbst lebt", so Pollesch. Er arbeite sich - ohne Besessenheit mit der eigenen Biografie - an seiner eigenen Verzweiflung mit den Verhältnissen ab.

Für "Die Kunst" steht, mal wieder so eine Pollesch-Überraschung, der Filmklassiker "Die Marx Brothers in der Oper" Pate. Bert Neumann entwarf das einer "Hamlet"-Inszenierung am Meiniger Hoftheater von 1866 nachempfundene Bühnenbild. Eine Opernaufführung entgleist darin und wird zum Katalysator der Zweifel des Künstlersubjektes. Pollesch, der schon mal Begriffe wie "Postfordismus" im Munde führt, beginnt auch "Die Kunst" mit einer lebensnahen Fragestellung. Durch den Durchlauferhitzer aus Gesprächen und theoretischen Texten gejagt, wird lebendiges Assoziationstheater daraus. Den Subtext liefern diesmal die Aufsatzsammlung "Kreation und Depression. Freiheit im gegenwärtigen Kapitalismus" der Herausgeber Christoph Menke und Juliane Rebentisch sowie Luc Boltanskis und Eve Chiapellos Analyse "Der neue Geist des Kapitalismus".

Der Kapitalismus habe sich die Ende der 1960er-Jahre geäußerte Kritik der Künstler einverleibt und sich dahingehend modifiziert, dass die graue, arbeitende Masse nicht länger einer eintönigen Maloche nachgehe, so die These der Autoren. Er gab sich ein vermeintlich menschliches Antlitz. Die Kunst zog sich in hermetische Nischen wie etwa die Zwölftonmusik zurück. Klingt, als hätte man nach der Premiere einen Knoten im Kopf, aber keine Sorge. Das Theater des René Pollesch bleibt populäre Kunst. Trotz allem.

"Die Kunst war viel populärer, als Ihr noch keine Künstler wart !" Premiere Sa 17.3., 20.00, Schauspielhaus (U/S Hbf.), Kirchenallee 39, Karten zu 14,50 bis 62,50 unter T. 24 87 13 oder www.schauspielhaus.de