Die Märchen, die Franz Xaver von Schönwerth im 19. Jahrhundert sammelte, blieben lange unbekannt. Jetzt ist das internationale Interesse groß.

Hamburg. Anfang dieser Woche meldete der britische "Guardian" eine literaturhistorische Sensation aus Deutschland: Nach 150 Jahren sei eine Sammlung von 500 Märchen, die der Historiker Franz Xaver von Schönwerth im 19. Jahrhundert zusammengetragen hatte, in einem Regensburger Archiv aufgetaucht. Der Beitrag, der eine Fülle begeisterter Leser-Mails nach sich zog, berichtet über die Forschungen der Regensburger Märchenexpertin Erika Eichenseer, die sich seit Langem mit dem Wirken von Franz Xaver von Schönwerth (1810-1886) beschäftigt. Der hohe bayerische Regierungsbeamte hatte in der Oberpfalz Sagen und Märchen gesammelt und dabei die Anerkennung von Jakob und Wilhelm Grimm erworben. "Nirgendwo in ganz Deutschland ist umsichtiger, voller und mit so leisem Gespür gesammelt worden", urteilte Jakob Grimm über seinen bayerischen Kollegen. Im Gegensatz zu den Sagen blieben von Schönwerths Märchen mehr als ein Jahrhundert unpubliziert und waren daher vollkommen unbekannt.

Dass sie wieder auftauchten, ist tatsächlich eine Sensation, doch liegt diese, anders als der "Guardian"-Bericht vermuten lässt, schon einige Jahre zurück. Auf Abendblatt-Nachfrage erklärte Erika Eichenseer: "Die Manuskripte, die sich im Archiv des Regensburger Historischen Vereins befanden, wurden bereits 1957 von der Uni Marburg gesichtet und maschinenschriftlich erfasst, gerieten aber anschließend wieder völlig in Vergessenheit." Eichenseer wusste von der Existenz der Manuskripte, stieß aber erst nach langen Forschungen auf die Abschriften der Marburger Uni. Hier fand die Forscherin jene 500 faszinierenden Märchen von Zwergen, Hexen, Holzfräulein und Irrlichtern, die sie 2010 in dem Band "Franz Xaver von Schönwerth: Roßzwifl und andere Märchen" (296 Seiten, Morsbach, 19,90 Euro) veröffentlichte.

"Durch den Londoner Zeitungsbericht ist die Sammlung nun international bekannt geworden. Die Franz-Xaver-von-Schönwerth-Gesellschaft bekommt Anfragen nicht nur aus Europa, sondern auch aus den USA und sogar Venezuela", sagt Eichenseer, die damit rechnet, dass die neu entdeckten Märchen auch als Übersetzungen in anderen Ländern publiziert werden.

Xaver von Schönwerth hatte von 1852 bis zu seinem Tod die Alltagskultur der Oberpfälzer Bevölkerung erforscht. Anders als die Brüder Grimm ließ er sich die Sagen und Märchen nicht von "Beiträgern" übermitteln, sondern sammelte sie persönlich. Jahrelang besuchte er Dienstboten, Köchinnen und Bauern, die ihm ihre Märchen erzählten.