Als Chef von ARD-aktuell verantwortet Kai Gniffke von Hamburg aus “Tagesschau“ und “Tagesthemen“ - und ist dabei ausgesprochen bescheiden.

Hamburg. Das Ungewöhnliche an der bisherigen Karriere des Kai Gniffke ist, wie unspektakulär sie bisher war. Dabei ist der 51-Jährige als Erster Chefredakteur von ARD-aktuell verantwortlich für alle Formate der "Tagesschau", für die "Tagesthemen" sowie für das "Wochen"- und "Nachtmagazin".

Dafür ist Gniffke ausgesprochen bescheiden. Er ist keiner, der eine große Welle macht. Er ist ein sympathischer, angenehmer Gesprächspartner. Das effektheischende Gehabe, das nicht wenige Führungskräfte an den Tag legen, ist ihm gänzlich fremd.

+++ "Tagesschau"-Chef will die Nachrichten reformieren +++

In seinem Büro im ersten Stock von Haus 18 auf dem Gelände des NDR Fernsehens in Lokstedt hängt der Kalender "Eifel 2011". In der Eifel ist er aufgewachsen. Aus seinem nächsten Heimaturlaub will er den Kalender für das laufende Jahr mitbringen. Auch ein Wimpel und ein Ball des Fußball-Bundesligisten Mainz 05 finden sich in Gniffkes Büro. In Mainz hat er gelebt, bis er mit seiner Familie 2003 nach Hamburg zog, um zunächst Zweiter Chefredakteur von ARD-aktuell zu werden. Noch als Student war er freier Mitarbeiter der "Mainzer Allgemeinen Zeitung". Er hat beim ZDF reingeschuppert und nach dem Studium beim Südwestfunk, dem heutigen SWR, 1993 als Reporter angefangen. Sein Studium der Politikwissenschaften zog sich allerdings etwas. Stolze 22 Semester brauchte Gniffke bis zur Promotion.

Beim SWR machte er 1998 einen Karrieresprung, als er zum Redaktionsleiter befördert wurde und fortan die Zulieferungen des Senders aus Rheinland-Pfalz an ARD-aktuell verantwortete. In dieser Position fiel er dem damaligen SWR-Intendanten Peter Voß auf, der ihn für die Chefredaktion von ARD-aktuell vorschlug. 2006 wurde er Erster Chefredakteur.

Als Journalist arbeitete Gniffke, bevor er nach Hamburg kam, fast nur in Rheinland-Pfalz. Eine Zeit, die er angesichts seiner jetzigen Aufgabe offenbar nicht vermisst: "Ich arbeite nicht mehr so unmittelbar journalistisch wie in meinen früheren Funktionen, aber ich hadere nicht mit diesem Schicksal", sagt er. Nach eigenem Bekunden hat sein Job nur noch zu "fünf bis zehn Prozent" mit eigener journalistischer Tätigkeit im engeren Sinne zu tun. Hauptsächlich sei er als Manager gefragt.

+++ Die Neue bei den "Tagesthemen" ist Harburgerin +++

Neben den zahlreichen Konferenzen füllen vor allem Personalgespräche und Etatplanungen seinen Arbeitstag aus. Insbesondere sein Budget macht ihm zu schaffen. "Seit drei Jahren ist unser Etat praktisch nicht gestiegen", sagt er. Nun ist das in der Branche schon fast ein Luxusproblem. Viele Chefredakteure anderer Medien müssen mit drastischen Budgetkürzungen zurechtkommen. Allerdings stellt sich für Gniffke die Situation insofern anders dar, als er mit demselben Etat ein in den letzten Jahren deutlich erweitertes Angebot finanzieren muss. Hinzugekommen ist etwa die "Tagesschau" in 100 Sekunden für mobile Endgeräte, die "Tagesschau"-App und vor allem der Ausbau des Digitalkanals Eins Extra zum vollwertigen Nachrichtensender.

Also spart Gniffke. Seine Journalisten müssen ihre Beiträge selber schneiden. Und er ist dabei, ein komplettes Studio stillzulegen. Dass sich die Moderatoren buchstäblich die Klinke in die Hand geben, mitunter trennen eine Sendung von der anderen nur 35 Sekunden, wird künftig zum Normalzustand.

+++ Stützpfeiler des Fernsehabends +++

Dennoch hat Gniffke seinen Etat von 36 Millionen Euro pro Jahr 2011 überzogen. Das lag vor allem an den vielen teuren Satellitenschaltungen, die wegen der Nachrichtenlage im vergangenen Jahr erforderlich waren: In Japan folgte auf den Tsunami die Atomkatastrophe, in der arabischen Welt brach der politische Frühling aus, in Pakistan wurde Osama Bin Laden getötet, in Norwegen richtete Anders Breivik ein Massaker an ...

Im Prinzip verteidigt Kai Gniffke so ziemlich alles und jedes bei ARD-aktuell. Das lange Schweigen von "Tagesschau" und "Tagesthemen" zu den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen Jörg Kachelmann rechtfertigte er etwa damit, dass ARD-aktuell erst dann berichte, wenn Anklage erhoben werde. Dabei hatten seine Sendungen in anderen Fällen, etwa den Ermittlungen gegen Bischof Mixa oder den ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Jörg Tauss, bereits vor Anklageerhebung berichtet. Der Online-Dienst Meedia taufte den ARD-aktuell-Chef "Mister Selbstverliebt von der ,Tagesschau'". Diese Bezeichnung wird ihm nicht gerecht. Gniffke zeichnet sich weniger durch Selbstverliebtheit als durch eine übergroße Identifikation mit dem öffentlich-rechtlichen System aus, die vielen Führungskräften von ARD und ZDF eigen ist.

Zum Ende des Gesprächs sagt er: "Die ,Tagesschau' hat es schon gegeben, als ich noch nicht auf der Welt war. Ich werde alles dafür tun, dass es sie noch geben wird, wenn ich nicht mehr auf der Welt bin." Sein Ziel ist es, den Rekord von Bernhard Wabnitz zu brechen, der elf Jahre der Chefredaktion von ARD-aktuell angehörte. Kai Gniffke hat seine Berufung gefunden.