30 Jahre Feminismus sind genug, sagt der Autor Ralf Bönt und fordert in einem Manifest über das entehrte Geschlecht Respekt für sein Geschlecht.

Hamburg. "Soweit ich meine Tanten überblicke, war jede eine Herrscherin, die ihren Mann mehr ertrug, als dass sie ihn liebte", gab die Autorin Marie-Luise Scherer mal in einer Rede preis. "Und wenn im Alter diese Männer nicht mehr aus der Küche wichen, nur noch im Wege saßen und ein Faktor der Unordnung waren, machten sie sich bald ans Sterben."

Das ist auch die Erkenntnis des Berliner Schriftstellers Ralf Bönt, 48, der aus Bielefeld in die Hauptstadt zugewandert ist. Ein Mann hat keine Lobby, über sein Schicksal wird nicht geredet, und wenn er geht, dann im Durchschnitt recht früh. Die Lebenserwartung des Mannes liegt bei 77, die der Frau bei 82 Jahren. Er ist selbst schuld daran, der maskuline Mensch. Er bringt sich nicht ins Gespräch, stellt keine Forderungen, er ist träge und hat sich mit seinem traditionellen Rollenbild als Familienernährer, Unterdrücker und im Alter impotenter Schwächling abgefunden. Bönts Fazit ist knallhart: "Weil er falsch lebt, stirbt der Mann zu früh."

+++ Mann sein muss schwer sein +++

Der Autor, Vater zweier Söhne, unterbrach die Arbeit an einem Roman, um sein Manifest loszuwerden. Was ihn zum Schreiben zwang, war die Empörung über eine aktuelle Diskussion in den Medien, die den Mann als Weichei, als Heuler in der Lederjacke, als Liebhaber mit verdruckstem Sextrieb anprangert. In der "Zeit" und anderen Blättern wurde das mehrfach thematisiert - von Frauen. Das sei Frauenpower der schlimmsten Sorte, meint Bönt, der nicht viel Sympathie für Alice Schwarzer hat, den "Franz Josef Strauß des Feminismus".

Und noch weniger für Simone de Beauvoir, einst Schwarzers mütterliche Freundin, die der Frau Immanenz, also Körper, zugestand, dem Mann dagegen Transzendenz, also Geist. "Der große und grundlegende Irrtum unserer feministischen Zeit", schreibt Bönt, "ist die Fantasie von der Freiheit eines klassisch maskulinen Lebensentwurfs, wie sie Simone de Beauvoir so aufwendig konstruiert hat. Sie folgte dabei den großen misogynen Autoren der Aufklärung. Es klingt böse, wenn man darauf hinweist, dass es sich nicht nur um das Verlangen nach Freiheit handelte, sondern auch um den Wunsch nach Teilhabe am Ruhm."

Ralf Bönt bedankt sich herzlich bei den Feministinnen. Sie seien zuständig für das größte Geschenk seines Lebens, "ein intaktes emotionales Verhältnis zu meinen Kindern". Immer wieder kommt in seinem Buch der Nachwuchs vor, aber Bönt beschreibt auch Skurrilitäten, die das väterliche Engagement beeinträchtigen. So erzählt er etwa von einem Freund, der sich vom Büro loseiste, weil die vierjährige Tochter mit ihm auf den Spielplatz wollte. "Dort richtete er ihr zweimal die beim Spielen im Sand verrutschende Wollstrumpfhose", was den Argwohn anwesender Mütter erregte, die die 110 im Handy tippten. Sofort kam die Polizei, Bönts Freund musste sich als Vater ausweisen und stand dumm da vor weiblicher Phalanx.

Neben dem Mann als Vater stellt Bönt dessen Körper in den Mittelpunkt, und wie selbstzerstörerisch der Mann mit ihm oft umgeht. An Alkoholmissbrauch sterben doppelt so viele Männer wie Frauen. 91 Prozent der tödlichen Arbeitsunfälle betreffen Männer. 2,2 Millionen Geschwindigkeitsüberschreitungen werden von Männern verursacht, nur 600 000 von Frauen. Woher kommt dieser Amoklauf des Mannes? Warum gibt es so viel falsche Maskulinität? Weil über den Mann und seine Probleme, Bedürfnisse und Möglichkeiten nicht geredet werde und neben der Emanzipation der Frau die des Mannes keine Chance habe, meint Bönt, und erinnert an die "Schwanz ab"-Buttons seiner früheren Freundinnen. Weil, wenn Politik, Kirche und Gesellschaft über Frauen und ihre Rechte, Karrieren und Gehälter debattieren, sie dabei regelmäßig den Mann attackieren, wo es doch nur um seine Rolle als arbeitender Mensch ginge, zu dem er von Eltern und den genannten Institutionen erzogen wurde. Männliche Schwäche, Verirrung, Verhärtung und die Hinnahme seiner Schicksalhaftigkeit erörterten sie dabei nicht. In der Debatte um die Emanzipation der Frau geht es gegen den Mann, nicht um den Mann. Er ist stigmatisiert als Festgesessener im Rollenmuster. "Seinen Körper, da sind sich nicht nur Mediziner einig, benutzt er wie sein Auto, seinen Rasierer oder eine Flachzange", so Bönt.

Aber wer hat ihm das beigebracht? Er war vorrangig in der Obhut von Müttern, Großmüttern, Tanten, älteren Schwestern. Haben die ihm nicht gesagt, dass er in seinen Körper hineinhorchen, regelmäßig zur Vorsorge gehen, seine Leistungsfähigkeit bei Krankheit drosseln und sich helfen lassen soll? Irgendwoher muss der Mann doch diese Verweigerungshaltung haben. Deshalb stirbt er zu früh. "Und das hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg stetig verschärft. Man darf spitz behaupten: Der Mann fällt zunehmend aus der Zeit, die gekennzeichnet ist durch die Errungenschaften der Moderne." Das, glaubt Bönt, habe emotionale Gründe. Dem Mann blieben noch "Biertrinken und Fußballgucken, diese beiden effizientesten Zeitvernichter". Tagsüber solle er seine Arbeit tun, das wird erwartet, er sei aber "am Wochenende und am Abend überflüssig". Mit dem Mann wird umgegangen, als habe er vorrangig seine Pflichten zu erfüllen und "keine Bedürfnisse, keine Wünsche und keine Beschränkungen". Der Mann soll immer funktionieren. Deshalb frisst er Gefühle in sich rein, oder er brüllt oder prügelt sie auch mal raus. Dann wird er verlässlich wieder zu der "Bedrohung, die der Mann für alle und jeden ist".

Ralf Bönt will eine Diskussion anstoßen über die Freiheit des Mannes. Er will die Aufmerksamkeit seines Geschlechts, dereinst "das starke" genannt, auf den eigenen Körper und auf Kinder lenken, auf das Biologische und das Emotionale. Er tut das mit einfachen, drastischen Fragen: "Warum säuft der Mann eigentlich?" ist eine davon. Woran liegt es, "dass er sich dreimal so oft umbringt wie die Frau"? Erlebt der Mann darin "einen heroischen Moment" oder will er "nur den Ekel vor einer Welt" loswerden, der sich seiner "von Geburt an bemächtigt hat?" Letztlich fordert Bönt noch vor der Freiheit erst mal Respekt für sein Geschlecht. Die Ausgrenzung der hartleibigen feministischen Fraktion hat den "Schwanzträger" zur Witzfigur gemacht. Jetzt muss Gleichberechtigung hergestellt werden, auch im Bett. Bönt verlangt für seinesgleichen "das Recht auf ein karrierefreies Leben, das Recht auf Krankheit und das Recht auf eine geehrte Sexualität jenseits von Ablehnung, Diffamierung, Kapitalisierung und Kriminalisierung". Sein Traum und der vieler Männer: "Das ist die Welt, in der ich noch einmal von vorne leben wollte."

Ralf Bönt: "Das entehrte Geschlecht. Ein notwendiges Manifest für den Mann", Pantheon Verlag, 160 S., 12,99 Euro