Die amerikanische Opernsängerin Reri Grist wird heute 80, am 29. Februar. Sie könnte wirklich 20 sein. Seit Jahren lebt sie in Altona.

Hamburg. Reri Grist ist noch immer eine äußerst aparte Erscheinung. Der dezente Goldschmuck passt hervorragend zum dunklen Teint; die Augen versprühen einen mädchenhaften Charme. Nein, die 80 Jahre sind ihr nicht anzumerken. Aber da die amerikanische Sängerin an einem 29. Februar geboren wurde, wird sie ja auch eigentlich erst 20. "Für mich ist es lustig, jedes vierte Jahr Geburtstag zu haben", sagt Reri Grist lächelnd. "Und 80 ist eine gute Zahl. Ich kann immer noch Treppen steigen und viel schneller gehen als manche meiner Studenten. O ja, ich fühle mich wohl!"

Reri Grist begegnet dem Alter mit jener heiteren Gelassenheit, auf die sie sich während ihrer 35-jährigen Sängerlaufbahn verlassen konnte. Sie hat sich nie stressen lassen, auch nicht von schwindelerregenden Spitzentönen und halsbrecherischen Koloraturen. Eine Rolle wie die Zerbinetta in Strauss' Oper "Ariadne auf Naxos" - für viele Kolleginnen eine Zitterpartie - machte ihr keine Angst. "Zerbinetta war immer leicht für mich. Meine Stimme war sehr klar und sehr direkt, und die Höhe war immer da. Es war nie schwer!"

Die Leichtigkeit, das helle Timbre, aber auch die mitunter betörende Süße ihrer Stimme sind auf einigen alten Aufnahmen zu erleben. Etwa in Mozarts "Entführung", wo sie das Blondchen sang, oder bei ihrer zauberhaften Zerlina im "Don Giovanni", beide unter Leitung von Karl Böhm, der mit Wolfgang Sawallisch und Josef Krips zu ihren Lieblingsdirigenten gehörte.

Die Zerbinetta - neben der Königin der Nacht eine ihrer Paraderollen - hat Reri Grist manche Türen geöffnet, wie 1958, als sie in der Erstbesetzung der "West Side Story" unter Leonard Bernstein am Broadway dabei war. Zwischen den Aufführungen sang sie ihm in der Carnegie Hall vor. Er engagierte sie für Mahlers Vierte Sinfonie und ebnete ihr so den Weg zu weiteren Stationen.

Reri Grist gehörte zu den ersten afroamerikanischen Opernsängern, die international Karriere gemacht haben. Sie gastierte in Wien und Salzburg, am Teatro Colon in Buenos Aires und dem Londoner Covent Garden, sie stand mit Kollegen wie Nicolai Gedda, Hermann Prey und Christa Ludwig auf der Bühne und wurde von Luciano Pavarotti köstlich bekocht: "Es war nach einer Vorstellung in London. Wir wollten mit ein paar Kollegen essen gehen, und er sagte: Nein, nein, kommt zu mir. Also gingen wir in sein Apartment, und er fing an zu kochen. Und ich meine wirklich kochen! Natürlich gab es Pasta."

Solche Anekdoten erzählt sie sehr lebendig in einem perfekten Deutsch, bei dem nur ab und an eine amerikanische Vokalfärbung durchschimmert. Reri Grist kam schon zu Beginn der 60er-Jahre nach Europa, hat ihre Wurzeln aber nicht vergessen. Die Sängerin ist in einfachen Verhältnissen in Manhattan aufgewachsen und lernte in ihrem Nebenjob als Sozialarbeiterin auch die richtig schwierigen Viertel kennen.

Heute lebt Reri Grist in Hamburg. Ihr Mann Ulf Thomson - ein ehemaliger NDR-Redakteur, mit dem sie seit 45 Jahren verheiratet ist - liebe halt das Wasser, erklärt die weit gereiste Frau, die sich im multikulturellen Klima von Altona sehr wohlfühlt. "Ich brauche New York nicht zum Leben, ich brauche auch Paris nicht oder Wien. Hamburg ist groß genug. Und schön!"

Dort schreibt sie an ihren Erinnerungen und gibt privaten Gesangsunterricht. Ihre eigene Karriere hat Reri Grist schon 1991 beendet - doch das hohe f kommt immer noch besser als bei manchen ihrer Schülerinnen. Sie wird ja auch erst 20.