Die HipHop Academy Hamburg und Ensemble Resonanz finden mit “Sampled Identity“ zu einer beeindruckenden Synthese zweier Kulturen.

Hamburg. Auf einem großen weißen Fahnentuch sitzen 16 Streicher, ganz in Schwarz, alle mit Wollmützen auf dem Kopf. Sie spielen das Vorspiel zu Richard Wagners Oper "Tristan und Isolde", eine Hymne an die Liebe, an die Sehnsucht danach, mit dem anderen zu verschmelzen. Eins zu werden mit dem Gegenüber. Aber so einfach ist das offensichtlich nicht. Aus dem scheinbar uniformen Klangkörper zucken nach und nach einzelne Gliedmaßen hervor, hier ein Ellenbogen, da ein unruhiges Bein. Als würde eine Raupe allmählich aus ihrer Larvenpuppe herausschlüpfen, befreien sich die Tänzer und Sänger der HipHop Academy aus dem Klassik-Korsett. Auf der kargen Kampnagel-Bühne fangen sie an zu tanzen und zu grooven, ein DJ streut Wagner-Samples über seine Beats.

Mit dieser starken Szene formuliert das Stück "Sampled Identity" gleich zu Beginn eine wichtige Botschaft: Erst wenn wir uns der eigenen Identität bewusst sind und zu ihr stehen, können wir auf andere zugehen. Wer sich selbst verleugnet, bekommt keinen Respekt.

Breakdance zu Beethoven

Der spannende, knapp anderthalb Stunden dauernde Mix aus Musik, Tanz, Theater und Pantomime wurde nach der Premiere am Freitag minutenlang bejubelt. Das Projekt entstand aus der Begegnung des Ensembles Resonanz mit Mitgliedern der Hip Hop Academy Hamburg. Auf der einen Seite die Streicher, überwiegend um die 40 Jahre alt und bildungsbürgernah aufgewachsen, auf der anderen junge Tänzer, Rapper, ein Beatboxer und ein DJ, alle Anfang zwanzig und mit teilweise weitverzweigten ethnischen Wurzeln.

Bei gemeinsamen Workshops im vergangenen Oktober lernten sich die Künstler kennen und erzählten einander von Wendepunkten in ihren Biografien. Diese persönlichen Momente sind in das Stück eingeflossen. Eine Bratscherin spielt die Musik, die sie zu ihrem Instrument geführt hat, ein Tänzer erinnert sich an beklemmende Beobachtungen sexueller Handlungen aus seiner Jugend - und zwei Rapper reißen das Kernthema an, die Suche nach Identität: "Wir sind lost, irgendwo zwischen den Schubladen, wohin ist der Flow, wohin sind die Buchstaben? Sollte man so was nicht im Blut haben?"

Der Regisseur Volker Schmidt verwebt die einzelnen Szenen zu einer lebensprallen, trotz all ihrer Buntheit stringenten Performance. Mit feinem dramaturgischen Gespür variiert er Tempi und Stimmungen und lässt das Stück zwischen Hektik und intimen Momenten balancieren. Die Choreografien (Dennis "Koone" Kuhnert) sind perfekt getimt und hochvirtuos. Manche Bewegungen wirken so, als hätten die Tänzer Gliedmaßen aus Gummi, in denen ein Rudel Zitteraale herumtobt. Und wie der Breakdancer Felix Saalmann am Ende seinen ganzen Körper auf einer Hand kreisen lässt, ist schier unglaublich.

Faszinierend auch die ganz unterschiedlichen Klangfarben, die der Komponist und Arrangeur Tobias Schwencke ausgewählt hat. Indem er Versatzstücke aus Klassik und Hip-Hop zusammenmontiert oder auch ineinander verzahnt, schafft er neue Berührungspunkte und Korrespondenzen. Da imitiert die Geige das rhythmische Scratchen des DJs, eine virtuose Ysaÿe-Sonate trifft auf pumpende Beatbox-Sounds - und die wie immer vorzüglichen Streicher schleichen sich auf leisen Sohlen in einen Popsong hinein. Besonders stimmungsvoll ist das Finale, wenn vier Hip-Hopper zu einer Bach-Fuge tanzen und den Fluss der Musik mit eckigen Bewegungen aufbrechen. Das suggestive Schlusswort eines respektvollen und offenen Dialogs zweier Kulturen, bei dem jede Seite ihre Identität wahren kann.

Und wie war das Konzert der Hip-Hop-Künstlerin Speech Debelle? www.abendblatt.de/debelle