Sibylle Ernsing trifft beim Wettbewerb der Deutschen Stiftung Musikleben Geigerinnen, die Instrumente aus ihrem Familienbesitz spielen.

Hamburg. Jahrzehntelang lagen sie zu Hause in Niendorf im Schrank, wohlverpackt und unangetastet. Zwei Erbstücke vom Vater, schöne und wertvolle Gebrauchsgegenstände des Berufsmusikers Hans Pastohr, der bis zu seiner Pensionierung 1963 Konzertmeister beim Rundfunkorchester Hamburg gewesen war. Sibylle Ernsing, die einzige Tochter, hatte vom 1985 verstorbenen Vater wohl die beiden Violinen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts geerbt, nicht aber dessen Talent, sie auch zu spielen. "Ich hatte Klavierstunden. Wenn wir Hausmusik machten, musste immer alles zweihundertprozentig stimmen. Das war anstrengend."

Die beiden Enkelinnen von Hans Pastohr, Sibylle Ernsings Töchter, hatten es auch nicht so mit der Musik. Als eins ihrer vier Enkelkinder Begabung zeigte, aber Neigung eindeutig fürs Klavier, las Sibylle Ernsing im Abendblatt eine Geschichte über den Deutschen Musikinstrumentenfonds. Dem bot sie erst eines, später auch das zweite Instrument als Leihgabe für begabten Nachwuchs an. Seit 2008 wandert ihre 1845 vom Aachener Geigenbauer Nicolas Darche gebaute Geige von Hochbegabtenhand zu Hochbegabtenhand.

+++ Wettspiel um tolle Leihinstrumente +++

Alljährlich spielt der deutsche Spitzennachwuchs an einem verlängerten Wettbewerbswochenende in Hamburg unter der Ägide der Deutschen Stiftung Musikleben um exzellente Leihinstrumente, an diesem Wochenende zum 20. Mal. Frau Ernsing gehört zu denen, die im Stiftungsjargon Treugeber heißen.

Die Geigerin Elisabeth Gebhardt wird als "Leihverlängerer" geführt. Denn der temperamentvoll spielenden jungen Frau aus Halle an der Saale liegt die andere Geige aus dem Nachlass Hans Pastohrs, eine Gagliano aus Neapel von 1849, die sie im Vorjahr zugeteilt bekam, sehr gut in der Hand. Sie möchte sie gern ein weiteres Jahr leihen und stellte sich deshalb gestern einer Jury aus vier strengen, hoch kompetenten Herren, die im Auftrag der Stiftung überprüfen, ob sie und andere Leihverlängerer sich des Instruments weiterhin würdig erweisen.

+++ Ein alter Bass, ein junges Talent +++

Anna-Luisa Mehlin dagegen, die noch in Düsseldorf zur Schule geht und im Vorjahr ganz glücklich mit Frau Ernsings Darche-Geige vom Wettbewerb nach Hause fuhr, hofft diesmal auf eine andere Violine und gilt deshalb als Neubewerberin. Der volle Ton des großen, im Stil der französischen Violinen gebauten Instruments sagte ihr sehr zu, aber diese Geige passt einfach nicht zu ihr. "Ich habe zwei Monate lang versucht, meine Technik umzustellen, denn ich hatte Angst, dass ich die Geige kaputtmache. Ich bin halt nicht sehr groß und dauernd mit dem Bogen an die Zarge an der E-Saite gekommen", sagt sie bedauernd. Zum Wettspiel trat die Musikerin mit der eigenen Geige an.

Frau Ernsing ist als Zuhörerin zum Vorspiel ins Museum für Kunst und Gewerbe gekommen. Hinterher zeigt sie den Zwischennutzerinnen der väterlichen Erbstücke liebevoll aufbewahrte Fotos und Zeitungsausschnitte. Hans Pastohr im Schülerkreis des legendären Geigenpädagogen Henri Marteau, später als Konzertmeister bei Aufnahmen in New York, mit den Kollegen vom Rundfunkorchester. "Damals haben da fast nur Männer gespielt", sagt Sibylle Ernsing augenzwinkernd zu den beiden Geigerinnen. Sie ist sichtlich stolz und froh, dass Vaters Instrumente nicht länger im Schrank schlummern müssen. "Direkten Kontakt zu den jungen Musikern brauche ich nicht", sagt sie. "Das wäre ja nur eine Extrabelastung für sie, dass man sich dauernd bedanken soll." Erwiese die Jury sich den jungen Damen gnädig, wäre ihr das Dank genug.