Mit “frei händig“ ist Hamburgs Soulstar Stefan Gwildis eine Platte gelungen, die sich auf die Suche nach privaten Klängen in uns begibt.

Hamburg. Jeder Mensch, da ist sich Stefan Gwildis sicher, trägt seinen ganz eigenen Sound in sich. Doch all die persönlichen Melodien zu hören, die traurigen und die glücklichen und die merkwürdigen, ist häufig nicht so einfach. Dafür ist die Welt oft zu laut. "Spiel das Lied in dir", fordert der Soulsänger daher direkt zu Beginn seines neuen fünften Albums "frei händig", das morgen bei der Hamburger Plattenfirma 105music erscheint.

Der Song kommt in gewohnter Wohlfühllaune daher. Lässiger Handclap-Rhythmus, Mitsing-Refrain, Bläser als Euphorieverstärker. Doch bei Gwildis, Hamburgs singendem George Clooney, Barmbeks Barry White, ist das schon okay. Seine Songs mögen so radiokompatibel klingen wie ein sorgsam rund gelutschter Drops. Aber wenn der 53-Jährige mit rauer Stimme losschmirgelt, schwingt da so viel an Gelassenheit und Gefühl mit, dass klar wird: Stefan Gwildis hat dem Leben bereits einige Höhen und Tiefen abgerungen. Und er hat eine Stimme gefunden, um davon zu erzählen.

"Jeder hat seinen Sound, seine Intuition. Vor allem dann, wenn man an Scheidewege kommt und sich fragt: Ist das eigentlich gut, was ich da gerade mache? Jeder kann das für sich beantworten, wenn er oder sie in sich hineinhört in stillen Momenten. Manchmal wirklich auf dem stillen Örtchen. Oder kurz vor dem Einschlafen", sagt Gwildis bei Kaffee und Wasser im Gastwerk-Hotel. Er hat das angenehme Talent, Sätze, die ins Grundsätzliche gehen, mit einer Mischung aus Ernst und Witz vorzutragen. Das Graumelierte, Denkerhafte tritt bei ihm zumeist in Verbindung mit einem Dalai-Lama-artigen Schmunzeln auf. Da verwundert es auch nicht, dass er im Interview vom gesetzlich verankerten Bruttosozialglück in dem kleinen buddhistischen Königreich Bhutan schwärmt.

Gwildis ist ein charismatischer Erzähler, in seinen Liedern zudem ein Meister der Lebensweisheiten. Ob er in "Durch die Nacht" ein Roadmovie inszeniert oder in "Vergiss es" zu sattem Funk einen statusfixierten Typen karikiert - seine Songs sind Appelle aufzubrechen, sich von Mustern zu lösen. Sei es, sich aus einer eng gewordenen Beziehung zu befreien wie in "Ohne Dich" oder eine neue Liebe zu wagen wie in "Alle Wege offen", wo es heißt: "Niemand von uns ist ohne Narben / und doch leuchtest du in all diesen Farben."

Würde Gwildis keine Musik machen, könnte er Yogi-Tee-Zettel oder Glückskekse betexten. Auch "Wer loslässt, hat die Hände frei" ist "so ein Postkartenspruch", sagt er. Aber einer, der wahr ist. Pe Werner ("Kribbeln im Bauch") hat ihm den gleichnamigen Song geschrieben. Denn um seinen inneren Sound "so richtig rauszulassen", nutzt Gwildis gern auch die Stimmen anderer. Neue Perspektiven, die seine Sicht ergänzen. Und das klingt im Fall von Pe Werner dann nach Swing, nach Soul. Und nach "shit happens": "Und all die guten Feen / die sind wohl Kippen kaufen gehen", besingt Gwildis einen "Tag, den du schon nach dem Aufstehn in der Pfeife rauchen kannst", um dann im Refrain zu schlussfolgern: "Halt die Füße still / es kommt eh wie es will".

"Wir haben oftmals die fatale Angewohnheit, die Dinge beeinflussen zu wollen. Aber an vielen Sachen wird man nichts ändern können", sagt der Hier-und-jetzt-Mensch Gwildis, ergänzt aber: "Im politischen Sinne würde ich das ganz anders sehen." Was er in seinem Lied meint, ist das private Verbeißen, Verrennen und Verkrallen, wasjeden klaren Gedanken verhindert.

Stilistisch reicht seine Platte vom schmissigen Marching-Band-Sound bis zu einer elegant driftenden Coverversion von Michel Legrands "Windmills Of Your Mind". Mitunter ist die Musik, die Gwildis irgendwo zwischen Hirn, Herz und Bauch wahrnimmt, nur eine kurze Eingebung. Dann spielt er diese akustische Idee auf ein Diktiergerät. Oder er ruft sich selbst zu Hause an und singt auf den eigenen Anrufbeantworter.

Manchmal kommt der Impuls für einen Song aber auch aus einer ganz anderen Ecke, aus einer beiläufig hingeworfenen Zeichnung etwa. Im CD-Heft ist Gwildis' Skizze eines Paares abgedruckt, das in einem schiefen Ruderboot hockt, als Illustration für "Wenn die Flut kommt". Die bluesige Nummer erzählt von einer Beziehung, die im Schlick hängt, und von der Hoffnung, dass die Liebe wieder Wasser unterm Kiel bekommt.

Wie ein Grundbeat, ein Herzschlag dringt Gwildis' positive Einstellung zum Leben immer wieder durch. Und diese Haltung wird vor allem dann herausgefordert, wenn sich das Tragische, das Unbegreifliche Bahn bricht. Dann ist die innere Stimme erst recht wichtig. Und geht ausgerechnet dann besonders schnell verloren. Gwildis hat mit dem getragenen Lied "Wär mir egal" einen Weg gefunden, den Tod seines Bruders zu verarbeiten. "Er ist vor zehn Jahren verstorben. Er war starker Alkoholiker und ist daran auch zugrunde gegangen. Der Song ist mein Versuch, mit dieser Trauer umzugehen", sagt Gwildis. Das Instrumentalstück, das 20 Minuten nach dem letzten Titel des Albums ertönt, ist einem weiteren Verstorbenen gewidmet: Pianist Ralf Schwarz, der zur Band um Gwildis gehörte, hatte sich vor einem Jahr das Leben genommen. "Der Song soll ganz bewusst keinen Text haben, denn ich könnte nur etwas Fassungsloses ausdrücken", sagt Gwildis.

Um solche Einschnitte zu verkraften, hilft ihm auch der Gang in die Natur. In seinem Wochenendhaus im Wald hat er einige Zeit mit Musiker Michy Reincke verbracht, der viele der Stücke auf "frei händig" geschrieben hat. "In der Natur spüre ich die Vergänglichkeit, wie alles ineinander übergeht", erzählt Gwildis. Er betrachtet dann etwa "Bäume, die umgefallen sind, die vermodern und die wieder in den großen Kreislauf übergehen. Das ist ein ungeheuer beruhigendes und versöhnliches Gefühl."

Stefan Gwildis: "frei händig" erscheint am 24.2. (105music). Live: 14.3. Laeiszhalle; 11.8. Stadtpark