Mit ihrer neuen Platte kommentiert die Berliner Band Die Türen die Zeichenflut unserer Zeit. Im April spielen sie im Golden Pudel Club.

Hamburg. Jeder ist sein eigener DJ. Noch mehr als zu Zeiten der Mixkassettenkultur zerpflückt der Hörer heute Popalben und mischt seine Lieblingssongs in persönlichen Abspiellisten auf dem Computer. Wenn nicht direkt die Shuffle-Option aktiviert wird, die all die digital gespeicherten Stücke unvorhersehbar aneinanderreiht.

Die Berliner Band Die Türen weiß um diese muntere Fragmentierung, die sich aus dem Selbstbedienungsladen namens Internet speist. "Pop ist tot / böse Menschen kaufen keine Lieder / sie laden nur danieder", proklamiert Sänger Maurice Summen auf der neuen, vierten Platte namens "ABCDEFGHIJ KLMNOPQRSTUWVXYZ". Der Titel verweist sehr schön darauf, was das Album verhandelt. Es geht um Zeichen, Codes und Meinungen, die sich vor allem durch die Echtzeit-Kommentierung in den sozialen Medien zum Meer der Möglichkeiten geweitet haben. Und wenn ein jeder ohnehin mit seiner Individualisierung beschäftigt ist, soll er doch das Plattencover direkt selbst gestalten. Die Türen liefern zu ihrem gänzlich weißen Album (siehe: The Beatles) ein Aufkleberset, das neben je einem Buchstaben des Alphabets zahlreiche Symbole enthält. Warhol-Banane, Stones-Zunge, Gefällt-mir-Daumen.

+++ Wir schunkeln in den Untergang +++

Dieses popkulturelle Patchwork reflektiert den Inhalt der neuen Songs, denn Die Türen spannen den Referenzbogen weit. ABBAs Pianolinie aus "The Winner Takes It All" untermalt die Freizeit-Hymne "Rentner und Studenten". Das "Yellow Submarine" der Beatles verwandelt sich in ein "schwarz-gelbes Unterseeboot". Und Rio Reiser wird textlich auf Google-Gesellschaft gebürstet, sodass es nun heißt "Wissen ist Macht kaputt / was euch kaputt macht".

Die kunterbunten wie klugen Querverweise bieten zwar keine konkreten Wege aus so manch postmodernem Dilemma, machen aber großen Spaß und vermitteln eines ganz gewiss: Haltung.

"Man kann ja auch einen guten Abend haben und trotzdem kritische Themen ansprechen", sagt Summen. Er wolle Reibung erzeugen, gerade in Zeiten, "wo es schon wieder unhip geworden ist, politisch zu sein im Pop". Das nerve ihn. "Warum sich nicht mal in Monty-Python-Manier über die Regierung lustig machen?", fragt Summen.

Der Sänger ist einer, der schnell spricht, assoziiert und abstrahiert. Und der seine Merkwürdigkeit aufs Beste nach außen kehrt. Im Video zu der Nummer "Leben oder Streben" geriert er sich als eine Art Eurythmie tanzender Mick Jagger. In Jogginghose und Ringelshirt schlenkert er wunderbar exaltiert umher. Der Song wiederum ist ein gutes Beispiel dafür, warum Die Türen eine der relevantesten Bands des noch jungen Musikjahres sind. Zum akzentuiert groovenden Rock singt Summen Verse, die mit ihrem Hintersinn amüsieren. Und für die jeder T-Shirt-Sprücheklopfer sonst was geben würde. "Ich will keinen Mindestlohn, ich will Mindestliebe", ist so ein Satz.

Summen beschäftigt die Frage, wo in unserer Leistungsgesellschaft noch ungeplante Momente, also Freiheit, auch Verweigerung möglich ist. Dabei zeigen Die Türen nicht nur anklagend auf "die anderen", sondern klopfen ab, wie sich das eigene Leben verändert. Wenn er "Deine Hobbys sind Yoga und Systemkritik" skandiert, spiegelt das wider, wie alternative Ideale von der alltäglichen Verantwortung in Familie und Job an den Rand gedrängt werden.

Angereichert wird die Gedankenwelt rund um die Platte durch ein Begleitbuch. Die Philosophie, das eigene Kunstschaffen mit einem Manifest zu unterfüttern, verfolgt auch die Gruppe Ja, Panik, die mit dem (ebenfalls buchstabenaffinen) Album "DMD KIU LIDT" die wichtigste deutschsprachige Platte 2011 vorgelegt hat. Beide Bands sind bei der Plattenfirma Staatsakt beheimatet, die Summen 2003 in Berlin gründete. Andreas Spechtl von Ja, Panik spielt zudem Gitarre bei Die Türen.

Dem Netzwerker Summen und seinem künstlerischem Umfeld liegt letztlich ein humanes Interesse zugrunde. "Jeder kann heute seine Meinung zu allem schnell raushauen, aber wirklich in den Dialog getreten wird oftmals nicht mehr", sagt er angesichts einer Welt, die sich verstärkt auf der Oberfläche bewegt. Der des Rechners etwa. Oder der des smarten Telefons. Viele Fenster offen, ständig in Alarmbereitschaft. Summen ist kein Gestriger, auch seine Band hat einen Facebook-Auftritt. Aber er freut sich schon darauf, sich auf Tour einfach mit den Leuten zu unterhalten. In einem realen Gespräch. Am Tresen.

Die Türen live: 12. April, Golden Pudel Club