“Glebs Film“ porträtiert einen weißrussischen Friseur im Nordwesten von Ottensen. Das filmische Kleinod ist heute auf Arte zu sehen.

Hamburg. Gute Geschichten findet man meist dort, wo man es am wenigsten erwartet. Das mag eine Binsenweisheit sein. Doch der Schauplatz der wunderbaren Dokumentation "Glebs Film" von Christian Hornung - ein kleiner Friseursalon - liegt nun einmal in einer Gegend, die durch ihre Normalität, ja durch ihre Langeweile besticht. Das Quarree zwischen Behringstraße, Hohenzollernring, Friedensallee und Griegstraße im Nordwesten von Ottensen wird beherrscht von drögen Mietskasernen aus rotem Backstein. Der angesagte Teil Ottensens, in dem die Mieten längst das Niveau von Eppendorf und Winterhude erreicht haben und wo schicke junge Menschen im Straßencafé Latte macchiato schlürfen, ist zwar nur ein paar Hundert Meter entfernt - und doch ganz weit weg.

Hier oben, hart an der Grenze zu Bahrenfeld leben vor allem ältere Leute. Geschäfte gibt es kaum. Als Regisseur Hornung das erste Mal den Friseursalon besuchen wollte, dessen betagte Kundschaft schon mal mit dem Rollator vorfährt, glaubte er zunächst, "in der falschen Straße zu sein, keine Läden weit und breit". Schließlich entdeckte er doch den Salon, der so etwas wie das kommunikative Zentrum des Viertels ist. Das liegt vor allem an dem Friseur Gleb Lenz, einem Weißrussen, der vor gut 20 Jahren nach Hamburg kam, um hier sein Glück zu suchen. Hornung bemerkte sofort, dass dieser Gleb ein begnadeter Erzähler ist.

+++ Neuigkeiten aus einem Altonaer Friseursalon +++

Ursprünglich wollte der Absolvent der Hamburger Hochschule für bildende Künste eine Dokumentation über Menschen machen, die beruflich nichts mit der Filmbranche zu tun haben, sich aber dennoch Drehbücher und Filme ausdenken. Um solche Leute zu finden, hatte er in Stadtteilblättern Anzeigen geschaltet. Gleb hatte auf eine dieser Annoncen geantwortet.

Hornungs Plan war es, drei bis vier dieser Filmamateure vorzustellen. Doch als er den Friseur Gleb Lenz traf, wusste er augenblicklich, dass es in seinem Feature nur um "Glebs Film" gehen konnte. So lautet denn auch der Titel der Dokumentation.

Gleb hat sich zu seinem Film ein paar schriftliche Notizen gemacht. Vor allem existiert er aber in seinem Kopf. Das Publikum dieses Kopfkinos sind die Kunden des Friseurs, denen er die Handlung seines Films immer wieder erzählt. Es geht dabei um drei Personen: Den ehemaligen Polizisten Florian hat ein Einsatz in Afghanistan, wo er einheimische Polizeikräfte ausbilden sollte, ebenso aus der Bahn geworfen wie der Tod seiner Mutter, bei der er - obwohl bereits 48 Jahre alt - bis zuletzt gelebt hat. Nun sitzt er in abgerissener Kleidung auf der Straße, konkret vor einem Supermarkt in der Friedensallee. Einsam ist auch die stark übergewichtige Claudia, die ebenfalls ihre Eltern verloren hat. Und dann ist da noch der Friseur Gottlieb, dessen Kundin Claudia ist. Er hat es sich zum Ziel gesetzt, die beiden unglücklichen Menschen zusammenzubringen.

Es mag schon sein, dass diese Story an sich nicht so fürchterlich originell ist. Aber - und auch diese Binsenweisheit bestätigt sich in "Glebs Film" - die Qualität einer Geschichte macht nicht unbedingt ihr Inhalt aus, sondern die Art und Weise, wie sie erzählt wird. Und Gleb ist ein ganz wunderbarer Erzähler, der seine Geschichte mit viel Leidenschaft und Verve vorträgt, sie immer wieder neu ausschmückt und stets auf Anregungen und Fragen seines interessierten Publikums eingeht. So entsteht die Erzählung beim Haareschneiden, Waschen, Föhnen, Färben und Legen immer wieder neu.

Hornung und sein Team haben den Geschichtenerzähler und seine Zuhörer zwölf Stunden lang gefilmt und aus diesem Rohmaterial "Glebs Film" destilliert, der nur 27 Minuten lang ist.

Es ist das Verdienst der Hamburger Dokumentarfilmer, dass es ihnen gelungen ist, sich offenbar komplett unsichtbar zu machen. Gleb und seine Kunden geben sich jedenfalls so unverstellt, als sei gar kein Kamerateam zugegen. In der Nachbearbeitung hat Hornung klugerweise auf jeden Kommentar verzichtet. Es erzählt ausschließlich der höchst eloquente Gleb, unterbrochen nur von der einen oder anderen Anmerkung seiner zumeist älteren weiblichen Kundschaft.

"Glebs Film" wurde 2010 mit großem Erfolg auf der Berlinale und anschließend auf diversen anderen Festivals gezeigt. Umso erstaunlicher ist es, dass sich im NDR Fernsehen für diese Dokumentation, die ein überhaupt nicht verkopfter, sondern höchst unterhaltsamer norddeutscher Heimatfilm ist, kein Sendeplatz fand. Deshalb läuft die Erstausstrahlung von "Glebs Film" nun an einem Werktag nach Mitternacht auf Arte. Ein schwacher Trost, denn einen so schlechten Sendeplatz hat Hornungs Kleinod nun wirklich nicht verdient. Wenigstens wird die Dokumentation sieben Tage ab Ausstrahlung in der Arte-Mediathek unter videos.arte.tv/de zum Abruf bereitstehen.

"Glebs Film" heute 0.10 Uhr, Arte