“The Something Rain“, das neue Album der Tindersticks, klingt nach vollendeter Großstadt-Melancholie. Indiepop mit Soul, Jazz und Rock.

Hamburg. Im ersten Song der neuen Tindersticks-Platte "The Something Rain", die morgen erscheint, erzählt Stuart Staples von einem perfekten Abend, den er in seiner Stammkneipe verbringt, in einem Klub und dann in ihrer Wohnung. Sie ist so ähnlich wie seine. Bescheiden, klein. Aber sie, die namenlos Bleibende, hat etwas gemacht. Die Wände gestrichen, zum Beispiel. Und: ein Bowie-Poster aufgehängt. Sie raucht Silk Cuts und mag James Bond. Man trinkt heiße Schokolade. Schönes Kontrastprogramm, im Pub gab es "Holsten Pils", berichtet Staples; seltsam genug. Wir sind hier doch in England.

Der Song, den der stoische Erzähler mit tiefer Stimme rezitiert, heißt "Chocolate", und er ist bittersüß. Er ist eine auf bezaubernde Weise schwerfällige Ode an den Freitagabend, ach was: ans Leben. An den Rausch, an das Single-Leben, die Boheme. Der neunminütige Song ist der routinierte Bericht eines Dandys, der in Fragen der Liebe auch wurstig sein kann.

Das Ende der guten Geschichte, die hier erzählt wird, während Orgeln, Akustikgitarren und ein rot gedimmtes Saxofon sich im eleganten Schönklang gegenseitig schmeicheln, wird nicht verraten; es ist köstlich.

Stuart Staples ist ein elender Romantiker, es gibt kaum eine bessere Stimme als seine. Sie kommt aus der Kehle, er kann Schmelz in diese doch eigentlich raue Stimme legen. Staples, 1965 in Nottingham geboren, ist außerdem ein Dandy. Wir stellen ihn uns so vor, dass er nach drei Pints (Pints, nicht Pils - schon gar nicht aus Hamburg) den Pub verlässt und den Schirm aufspannt, wenn der Alltag grau vom Himmel kommt. Der Schirm ist Old School, cremefarben vielleicht. Kein Schriftzug verunstaltet den Bezug. Staples hat eine Zigarette im Mund und einen Schal um den Hals. Die neue CD "The Something Rain" ist die neunte Tindersticks-CD in beinahe 20 Jahren. Es könnte wirklich etwas regnen, wenn wir sie hören.

Der Tindersticks-Indiepop ist eine Mischung aus Soul, Jazz, Rock

Die Tindersticks sind seit jeher die Lieblingsband aller gut abgehangenen Tagediebe, die die Ästhetik des Müßiggangs zelebrieren. Das Formlose, Unstrukturierte der Zeit ist die Form, die sie dem Leben geben: ein Paradoxon. Warum nicht eine Kerze anzünden, wenn die Stunden ungenutzt verrinnen - ungenutzt zumindest im Sinne kapitalistischer Wertschöpfungszusammenhänge? Warum nicht vor dem Ausgehen eine Tindersticks-Platte hören? In der Bar selbst übrigens laufen die Tindersticks auch ziemlich oft. Es ist der Sound, er klingt nach vollendeter Großstadt-Melancholie, der auch den Tresenhelden gut gefällt. Der Tindersticks-Indiepop ist eine Mischung aus Soul, Jazz, Rock. Bläser und Streicher gehören zu den Tindersticks genauso wie Staples' Stimme und das voll tönende Saxofon.

Stuart Staples bezeichnet "The Something Rain" als eine der besten Arbeiten, die den Tindersticks in ihrer Karriere gelungen sind. Das ist nicht das wohlfeile Geschwätz eines Künstlers, der seine neue Schöpfung bewerben will, es ist: die reine Wahrheit.

Das zarte Nachtlied "A Night So Still" ist pure Transzendenz: Man möchte plötzlich in die Kirche gehen und dem alten Mann zuhören, der dort Orgel spielt, als gelte es, Gott wach zu halten. Es wird kein schöneres Lied als dieses geben in diesem Jahr. Es hat etwas Schlafwandlerisches. Das gilt für viele Tindersticks-Songs. Sie sind mondsüchtig.

Die Band hat immer schon die Nachtseite in uns zum Schwingen gebracht. Die Seele spannt weit ihre Flügel aus, wenn Songs wie "Come Inside" gespielt werden. Die Produktion des Albums ist perfekt. Übrigens: Jeder Ton ist an seinem Ort, sei es das zarte Glockenspiel oder der Gesang des engelsgleichem Chores. Das kann man so machen. Ganz großes Album.

Tindersticks: "The Something Rain" (City Slang) Die Tindersticks spielen am 13. März im Thalia-Theater; www.tindersticks.co.uk