Die in Hamburg lebende frühere Schauspielerin Monique Schwitter hat einen famosen Erzählband vorgelegt. Und sich vom ersten Beruf abgewandt.

Hamburg. "Ich hoffe, wir erkennen uns." Es ist eine ungewöhnliche Sorge für eine Schauspielerin, die Monique Schwitter ein paar Tage vor dem vereinbarten Gesprächstermin in ihrer Mail äußert. Aber eine, die sie - vor dem "Blind Date" mit einer Journalistin - offenbar umtreibt: "Ich trage eine schwarze Brille, aber die trägt dieser Tage ja jeder. Hm." Vielleicht habe sie ihr sieben Monate altes Baby dabei, auf jeden Fall eine schwarze Mütze, vielleicht auch den schwarzen Hund, von dem sie vorsichtshalber sogar ein Foto in die Mail bastelt. Der eigentlich naheliegende Umstand, ihre Gesprächspartnerin könne ja doch sie erkennen, die immerhin am Schauspielhaus unter Friedrich Schirmer auf der Bühne stand, mitten im Rampenlicht also, deren Gesicht man demnach kennen kann, scheint ihr keineswegs selbstverständlich. Und sie erscheint dann tatsächlich mit Hund, Molly, sie trägt ihre markante schwarze Brille, hinter der die braunen Augen und das blasse Gesicht fast verschwinden, und auf dem langen hellbraunen Haar thront die dunkle Mütze - doch auch ohne die angekündigten Erkennungszeichen wäre es nicht sehr schwer gewesen, einander zu finden: Als Monique Schwitter das Eimsbüttler Café betritt, sitzt dort nur noch ein einziger - zudem männlicher - Gast an der Theke.

Es erzählt etwas über Monique Schwitter, dass sie sich schon vor dem Treffen ihre Gedanken über diese Begegnung macht - und welche. Das beginnt nicht erst damit, dass sie, die erklärtermaßen kein Freund von Interviews ist, das Wort "Begegnung" aber schätzt und deshalb dem Treffen zustimmt. Das fängt vielmehr schon damit an, dass man sich eben nicht mit der Schauspielerin Monique Schwitter verabredet hat. Verabreden kann. Die Schauspielerin Monique Schwitter gibt es nicht mehr. Frau Schwitter, Jahrgang 1972, hat ihren Beruf gekündigt. Den Beruf, nicht die Stelle. Sie ist keine Schauspielerin mehr ("Ich habe Jahre gebraucht, mich als Schauspielerin zu bezeichnen, weil ich den Begriff anmaßend fand"), sie ist jetzt Schriftstellerin. Auch diese Verknappung der eigenen Identität - "Ich bin Schriftstellerin ...", sie hebt die Augenbrauen - geht ihr nicht leicht über die Lippen. "Autorin" hat sie sich zunächst lieber genannt, auch wenn sie manchmal den Eindruck hatte, dass das für andere "mehr nach so einem Vanity-Fair-Moment" klang. Vielleicht doch lieber Schriftstellerin? "Schrift- Stellerin ", sagt sie langsam und lächelt und macht auf dem Café-Tisch eine kleine Handbewegung, als richte sie unsichtbare Buchstaben auf.

Es ist diese Genauigkeit in der Sprache und das Bewusstsein für dramatische Momente und Konstellationen, die auch ihre Texte so außergewöhnlich machen. Ihr drittes Buch ist dieser Tage bei Droschl erschienen, "Goldfischgedächtnis" heißt es, ein irrsinnig dichter, sehr berührender Erzählband, der nach dem preisgekrönten Debüt "Wenn's schneit beim Krokodil" und dem darauf folgenden Erstlingsroman "Ohren haben keine Lider" ihre Präzision aufs Neue unter Beweis stellt. Es liegt eine Aura des Unbarmherzigen in Monique Schwitters Geschichten, wie ein unterschwelliger und dumpfer Grundton. Andererseits ist es die Gabe der Schreiberin, ihre Innerlichkeit, die Gedanken, die ihr bisweilen davongaloppieren, eine Volte schlagen und dann doch zum Thema zurückkehren, schriftlich in klare Worte zu fassen. Früher beim Schreiben in der Nacht, nach den Theatervorstellungen, "in die Unendlichkeit hinein", wie Monique Schwitter diese Schaffensphase empfand, mittlerweile immer dann, ganz pragmatisch, wenn die beiden Söhne in der Kita sind.

Nein, sagt sie, die unter anderem die Marie im "Woyzeck" und Goethes "Iphigenie" spielte, der Applaus des Theaterpublikums fehle ihr nicht. "Das erstaunt mich selbst." Die Einsamkeit sei immer ihr Impuls beim Schreiben gewesen. "Ich suche die Einsamkeit und will sie gleichzeitig überwinden", sagt Schwitter. "Das war beim Spielen so, das ist jetzt beim Schreiben so." Ein Grund vielleicht für den Wunsch nach Begegnung und die gleichzeitige Angst davor, für die einerseits lange Bühnenerfahrung und die andererseits deutliche Scheu vor Fotografen. Auf ihrem Autorenfoto schaut Monique Schwitter über ihre linke Schulter dem Leser in die Augen, ertappt, irritiert, genervt vielleicht sogar, als sei man kurz davor, ihr einen Schritt zu nah zu kommen. "Ich behalte mich für mich", heißt einer der schönsten Sätze in ihrem Buch. Er beschreibt ganz gut auch die zurückhaltende Autorin selbst - und ist doch schon, einfach weil er geäußert wird, der Beweis des Gegenteils, des Verschwendens und Wegschenkens des Künstler-Ichs, ob nun auf der Bühne oder auf dem Papier.

Schreiben, sagt Monique Schwitter, sei für sie vor allem "Erinnerungsarbeit". An Erlebtes, Erzähltes, Gelesenes, vielleicht auch Fantasiertes. Das Erinnern, es ist auch das Leitmotiv ihrer Erzählungen. Erinnern, Vergessen, Verlust, Verschwinden. Erstaunlicherweise gelingt es Monique Schwitter, ihre Figuren trotz der vermeintlichen Schwere der Themen - fast immer spielt der Tod eine zentrale Rolle - nicht in der Verzweiflung erstarren zu lassen, sondern den absurden Momenten bisweilen eine düstere Komik abzutrotzen. Da ist die alte Schauspielerin, der die Technik fehlt, einmal gelernte Textmassen wieder zu "entsorgen". Da ist der hilflos stumme Vater, der seinen kleinen Sohn mit einem Halloween-Auftritt fast zu Tode erschreckt. Oder die Titelgeschichte, in der eine Tochter zugibt: "Ich habe mir oft gewünscht, mein Vater sei tot, aber er ... taucht alle paar Jahre auf und tritt gegen mein Leben."

Familienbande und andere (oft nicht minder schreckliche) Beziehungsgeflechte sind die Folien, auf denen Monique Schwitter ihre Szenarien entwirft. Sie sind stets wahrhaftig, wenn sie auch nicht immer der Wahrheit entsprechen. "Ob diese Geschichte wahr ist, weiß ich nicht, aber ich habe sie so oft gehört, dass ich mir nicht vorstellen kann, sie sei es nicht", heißt es in "Goldfischgedächtnis" - ein Gefühl, das niemandem fremd ist, der beim Betrachten seiner Kinderfotos nicht mehr zwischen dem Moment der Entstehung und dem Bild unterscheiden kann.

Monique Schwitter hat schon früh auf der Grenze zwischen Realität und Fantasie balanciert. Als Kind schrieb sie karierte Schulhefte voll, erfand sich eine Schwester, Adoptiveltern, fabulierte Liebesbriefe. Mit dem Publizieren aber hat sie doch erst spät begonnen, als junge Frau, die bei einem österreichischen Literaturwettbewerb ein Laptop gewinnen wollte. Damals war sie in Graz am Theater engagiert, und ihr Lebensweg schien noch ein anderer.

"Als alte Frau habe ich mich immer auf einer Bühne gesehen", sagt sie, und eine Weile hängt der Satz noch in der Luft. Dieses Bild, sagt sie dann leichthin, sei eigentlich immer noch da.

Monique Schwitter: Goldfischgedächtnis. Droschl, 186 S., 19 Euro. Die Autorin liest heute um 19.30 Uhr im Literaturhaus, Eintritt 7,-/4,- Euro