Avishai Cohen lüftet im St.-Pauli-Theater das Geheimnis, was es mit der alten deutschen Redewendung “bass erstaunt“ auf sich hat.

Hamburg. Es war etwas mehr als nur ein Scherz, als Avishai Cohen dem Publikum im voll besetzten St.-Pauli-Theater mitteilte, sein Trio habe seit zwei Monaten nicht zusammengespielt, so lange Pausen mache man ab jetzt immer zwischen den Konzerten. Die Ursache für den besonderen künstlerischen Höhenflug an diesem Abend sah der Kontrabassist, der im Rahmen des Festivals "Sounds of Israel" auftrat, ganz offensichtlich in einer wiedererwachten Neugier der Musiker aufeinander, in Wagemut und Unbefangenheit beim Improvisieren, frei von aller Routine.

"Wir sind auf dem Spielplatz zurück", sagte Cohen lachend zu den Kollegen an Klavier und Schlagzeug. Genauso hat man es an diesem denkwürdigen Sonntagabend auch erlebt: Der Ort, an dem Cohens Musik sich beständig erneuert, ist nicht das Labor, nicht die Komponierstube. Er braucht die Bühne als Spielplatz für große, geniale Jungs.

Der Jazz hat sich wohl schon immer nur in seinen besten Momenten zu jener Eigenschaft aufgeschwungen, die ihm der New Yorker Publizist Whitney Balliett einst zuerkannte: der "Sound of Surprise" zu sein. Avishai Cohen aber, dieser faunische Bass-Berserker, der sein Instrument gern so zwischen die Beine nimmt, dass schon mit Blindheit geschlagen sein muss, wer darin nicht das Sinnbild hoch potenter Männerfantasien erblickt, fährt in nahezu jedem seiner Stücke volles Risiko. Überrascht sein von sich selbst, das ist das Mindeste, das Cohen verlangt.

Seit Menschengedenken dürfte es kein Jazztrio gegeben haben, bei dem der Kontrabassist an einem Abend so viele Töne hervorbringt - immer neu, immer anders, immer hemmungslos und leidenschaftlich artikuliert. Die schiere Kraft seiner Finger und Hände am Bass verschlägt gerade Kennern dieses spröden Biests von einem Instrument die Sprache. Cohen, 41, ist aberwitzig schnell, aber nie flüchtig. Sein Sinn für Melodien bewahrt ihn vor leerem Pattern-Spiel, und seine ungeheure Technik schiebt er immer an den Rand der Klippe, dorthin, wo der Absturz droht. Oder eben der Abflug lockt. Mit dem Bogen spielt Avishai Cohen nicht halb so bravourös, aber er traktiert sein Instrument auch damit so lebendig und eigenwillig, dass man denkt: Den hat der Volksmund wohl kommen sehen, als ihm die seltsame Redewendung "bass erstaunt" einfiel .

So viel vollendete Gegenwart, so viel spontanes Schaffen aus einem gewaltigen Fundus an spieltechnischen Möglichkeiten und musikalischem Wissen erlebt man im Jazz nur bei den Größten. Avishai Cohens Partner, der Pianist Omri Mor, 28, und der 22-jährige Schlagzeuger Amir Bresler, machen sich erst noch ihren Namen. Aber sie bewegen Cohens Melodienlabyrinthe mit den Rhythmen zum Schwindligwerden beim Zählen mit der Mühelosigkeit junger Virtuosen. Bresler entfaltete eine bisweilen an den jungen Tony Williams erinnernde Energie, Omri Mor versprühte eine Improvisationslust, die alle Stereotypen des Jazz hinter sich gelassen hat. In einem locker hingeworfenen, kontrapunktisch gebauten Solo ließ er sich immerhin zu einem Mini-Zitat aus "Round Midnight" hinreißen.

Nachdem Cohen die trickreiche Melodie von Mercedes Sosas "Alfonsina y el mar" mit seiner herzvollen Brummelstimme zu reduzierter Bass-Begleitung allein vorgetragen hatte, schwenkte er mit Band noch mal eben ziemlich ekstatisch ins Kubanische ein. Bei der dritten Zugabe dann sang ein völlig begeistertes Publikum im Stehen einen einfachen Refrain, während Cohen, entfesselt von so viel Zuspruch, zu einer Art Bassspielpogo überging und seine langsam ermattenden Kollegen zu immer noch einem Chorus antrieb.

Nach diesem fulminanten Auftakt-Wochenende der "Sounds of Israel" liegt die Latte hoch für die Ensembles, die noch bis Sonntag zu diesem Festival kommen. Hingehen, hören, staunen.