Die Kunsthalle widmet dem weltbekannten Hamburger Künstler Paul Wunderlich erstmals eine Einzelausstellung – von Sonntag bis Ende Mai.

Hamburg. Für den Künstler hätte es eine späte Genugtuung sein können, nun wird es zur postumen Ehrung. Das Verhältnis zwischen Paul Wunderlich, dessen frühes lithografisches Werk die Kunsthalle ab Sonntag zeigt, und den Hamburger Museen war nicht ohne Spannung und lange Zeit stark belastet. Nur so lässt es sich erklären, dass ein weltberühmter Hamburger Künstler, der im New Yorker Museum of Modern Art vertreten war und als einziger Deutscher zu Lebzeiten Mitglied der Pariser Académie des Beaux-Arts werden konnte, nie zuvor von einem Hamburger Museum in einer Einzelausstellung gezeigt worden ist.

Dass sich diese unschöne, durchaus auch auf wechselseitige Arroganz und Ignoranz gegründete Situation aufzulösen begann, hat Wunderlich, 83-jährig, noch kurz vor seinem Tod im Juni 2010 miterleben können. Damals erfuhr er, dass der Berliner Kunsthändler Dieter Brusberg der Kunsthalle einen großen Bestand seiner frühen Lithografien überlassen wollte. Diese großherzige Schenkung, die Brusberg inzwischen vollzogen hat, ist der Anlass zu der jetzigen Ausstellung, die die Kunsthalle im Hamburger Gang unter dem Titel "Paul Wunderlich. Das frühe lithographische Werk" präsentiert.

Da Brusberg von 1960 bis 1973 für und mit Wunderlich als Kunsthändler und Verleger arbeitete, verfügte er über eine Grafiksammlung von mehr als 500 Werken, die diesen Zeitraum nahezu vollständig abbilden. Daraus werden in der Ausstellung etwa 90 Drucke aus dem Zeitraum von 1948 bis 1975 gezeigt, die einen guten Überblick über Wunderlichs frühe Entwicklung bieten, Einflüsse und Anregungen aufzeigen und dem Besuch zugleich vor Augen führen, wie der Künstler zu seiner eigenen Handschrift fand.

+++ Hamburger Kunsthalle ehrt den Maler Paul Wunderlich +++

Paul Wunderlich stammt aus Eberswalde bei Berlin, doch Hamburg wurde für ihn zur Wahlheimat. Hier hat er studiert, und zwar an der damaligen Landesschule am Lerchenfeld. Hier hat er gelebt, hat Freundschaften und Feindschaften gepflegt und einen großen Teil seines Werkes geschaffen. In den frühesten Blättern, etwa den Porträts "Christa Koch I" sind Anregungen von Max Beckmann erkennbar, oder vom Sezessionisten Willem Grimm, der zeitweise Wunderlichs Lehrer gewesen ist. Sein 1953 entstandenes Blatt "Böschung in Altona" erinnert dagegen an den magischen Realismus eines Franz Radziwill.

Von großer Eindringlichkeit und einer Bildsprache, die Anklänge an Francis Bacon erkennen lässt, ist sein acht Blätter umfassender Zyklus "20. Juli 1944". Die Kompositionen zeigen grausame Exekutionsszenen, in denen es nicht um Heldenverehrung geht, sondern um die entindividualisierte Darstellung von Menschen in schwerster Bedrängnis. Wunderlich schuf diese Lithografien-Folge 1959, zu einer Zeit, in der die Verschwörer vom 20. Juli in Teilen der deutschen Öffentlichkeit noch als "Vaterlandsverräter" denunziert wurden.

Konfliktscheu war der Künstler ohnehin nicht, auch wenn er 1960 sicher nicht hatte ahnen können, welchen enormen Skandal sein Zyklus "qui s'explique" auslösen würde, der jetzt gleichfalls in der Ausstellung gezeigt wird. Die zwölf Blätter, die damals am Valentinskamp zu sehen waren, zeigen den menschlichen Geschlechtsakt in einer Weise, die eher brachial und archaisch als erotisch erscheint. In den Augen der Hamburger Ordnungshüter handelte es sich gleichwohl um Pornografie. Der Staatsanwalt ließ die Blätter beschlagnahmen und Wunderlich sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, "unzüchtige Abbildungen an einem dem Publikum zugänglichen Ort" ausgestellt zu haben.

Kurioserweise hielt die Staatsanwaltschaft die Blätter für Zeichnungen, meinte also, der anstößigen Werke komplett habhaft zu sein. Mitarbeiter des New Yorker Museum of Modern Art, denen der Hamburger Skandal zu Ohren gekommen war, wussten es besser: Sie sicherten sich einen kompletten Abzug für ihre Sammlung und trugen damit nicht unerheblich zu Wunderlichs Renommee bei. "Das war natürlich ein Triumph, wobei ich zunächst sprachlos war, wie die in New York so schnell darauf reagieren", sagte er später rückblickend.

Ähnlich wie sein Kollege Horst Janssen, dem er an der Landeskunstschule die Kunst der Radierung beigebracht hatte, setzte Wunderlich auf Figürlichkeit, was in den von der Abstraktion beherrschten Nachkriegsjahrzehnten außergewöhnlich war. Allerdings abstrahierte Wunderlich seine Figuren, sodass manchmal kaum noch erkennbar ist, ob weibliche oder männliche oder überhaupt menschliche Körper gemeint sind.

Die für Wunderlich später so wichtige Farbigkeit kommt in der Ausstellung erst später ins Spiel, etwa in den Plakaten oder der Beschäftigung mit Alten Meistern. Wunderlich übernahm Motive von Leonardo, Dürer, Ingres oder Manet, um sie jedoch auf ganz eigene Weise "umzuformulieren" und in einen neuen bildlichen Zusammenhang zu stellen. Ausstellungskurator Jonas Beyer meint: "Es geht nicht um pauschale Übernahmen der Gesamtkompositionen. Vielmehr greift sich Wunderlich spezifische, für den eigenen Blick relevante Details heraus, übersteigert sie, arrangiert sie neu und gelangt so zu stets neuen Formlösungen."

Besonders intensiv hat sich der Wahlhamburger mit einem der wichtigsten Werke aus der Sammlung der Kunsthalle auseinandergesetzt, mit Philipp Otto Runges "Morgen". Von seiner Lithografie "Aurora - Hommage à Runge", die sich direkt darauf bezieht, sind in der Ausstellung gleich mehrere Farbfassungen zu sehen. Und außerdem ein Ölgemälde dieses Motivs, von dem auch eine Fassung 1963 auf der Documenta III zu sehen war - und das schon damals eine Verbindung zur Kunsthalle herstellte. Mit ihrer Ausstellung führt sie eindrucksvoll vor Augen, dass Wunderlich ungeachtet aller Kontroversen ein Künstler war, der vor allem in den druckgrafischen Techniken eine bewundernswerte Virtuosität erreichte.

"Paul Wunderlich. Das frühe lithographische Werk". Hamburger Kunsthalle, 5.2.-27.5., Di-So 10.00-18.00, Do bis 21.00