Warum der Autor Michael Batz jedes Jahr ein Dokumentarstück zum Holocaust-Gedenktag schreibt. Präsentation am 26. Januar im Rathaus.

Hamburg. Blumengebinde, ein Streichquartett, getragene Reden, gepflegte Langeweile. Jeder kennt Gedenkveranstaltungen, die so ritualisiert sind, dass sie niemanden erreichen. Genau das wollte der Hamburger Autor und Theatermacher Michael Batz verhindern, als er 1996 davon erfuhr, dass der damalige Bundespräsident Roman Herzog den 27. Januar zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus proklamiert hatte. "Ich fragte mich, wie man Menschen, die keine Zeitzeugen sind, die Erfahrungen jener vermitteln kann, die damals gelebt und gelitten haben", sagt Batz beim Abendblatt-Gespräch. Mit Fiktion, war dem Autor des "Hamburger Jedermann" bald klar, ließ sich das nicht machen, sondern nur mit dokumentierten Schicksalen. Deshalb schlug er der Bürgerschaft, die den Gedenktag in Hamburg ausrichtet, ein völlig anderes Format vor: die szenische Lesung eines eigens zu diesem Anlass von ihm geschriebenen Dokumentarstücks. Seitdem hat er jedes Jahr ein neues Stück recherchiert, verfasst und es zum Gedenktag im Hamburger Rathaus aufgeführt. An diesem Donnerstag wird das zum 15. Mal geschehen.

Der Aufwand, den er dafür treibt, ist enorm. Er geht in Archive, sichtet zigtausend Seiten Dokumente, um Schicksalen auf die Spur zu kommen. Sein erstes Stück, in dem er sich mit dem berüchtigten Hamburger Polizeibataillon auseinandersetzt, wurde 1998 aufgeführt und hatte eine so große Wirkung, dass diese Form des Gedenkens von da an zu einer Hamburger Institution wurde, die auch außerhalb der Stadt große Beachtung erfährt.

Diesmal geht es um das Schicksal jener etwa 500 000 Fremdarbeiter, die während des Krieges in der Stadt unter unmenschlichen Bedingungen leben mussten. Der größte Teil von ihnen wurde in der Rüstungsindustrie eingesetzt, aber ab 1943 auch zur Enttrümmerung und zur Behebung von Bombenschäden. "Wenn man bedenkt, dass ein großer Teil der männlichen Einwohner an der Front war und die Hamburger Bevölkerung damals wohl nur noch 800 000 Menschen umfasste, waren 500 000 Fremdarbeiter, die in 1000 über die Stadt verteilten Lagern untergebracht waren, eine Größe, die zwangsläufig im Stadtbild auffallen musste", sagt Batz, der bei seinen Recherchen schnell auf Albrecht Schweim stieß, SS-Hauptsturmführer und Leiter des Gestapo-Ausländerreferats.

+++ Die Herren des Hamburger "Rings" +++

Schweim war überzeugter Nationalsozialist, ein Schreibtischtäter ohne Gnade, der mit bürokratischer Effizienz verfolgen, foltern, hinrichten ließ. Nach Kriegsende verhafteten ihn die Engländer, ließen ihn aber wieder laufen, sodass er untertauchen und jahrzehntelang unter falschem Namen unbehelligt im Ruhrgebiet leben konnte. Erst 1974 wurde er aufgespürt und erneut verhaftet. Bei den damaligen Vernehmungen gab er recht präzise Informationen und legte eine Art Lebensbeichte ab - Material, das Batz jetzt nutzen konnte.

"Aber es war eine Beichte ohne Reue. Albert Schweim unterschied sich von vielen anderen Tätern zumindest dadurch, dass er weder etwas abstritt, noch fehlende Erinnerung vorschob", sagt Batz. Schweim starb 1975 während der Ermittlungen, zum Prozess kam es nicht mehr. Jetzt bringt Batz ihn zum Sprechen. Er erfindet nichts, jedes Wort ist verbürgt. Der Autor wählt nur aus, kürzt, montiert und lässt anhand der Dokumente ein Bild entstehen, das vor allem deshalb verstört und berührt, weil es monströs und authentisch ist.

Auf das Thema Fremdarbeiter war Batz schon 1993 gestoßen, als Dramaturg auf Kampnagel. Dort traf damals eine Postkarte ein, adressiert an "Fabriken Kampnagel, Hamburg, Deutschland". Verfasst hatte sie Vasilij Aleksevic Vitkovskij aus dem weißrussischen Dorf Dubenez. Ein ehemaliger Zwangsarbeiter, der auf Kampnagel eingesetzt war und sich nach einer Entschädigung erkundigte. Ob diese Anfrage bearbeitet wurde, weiß Batz nicht. "Ich hätte antworten sollen, ich habe es nicht getan", bedauert der Autor, der das Schicksal dieses Mannes jetzt für sein Stück aufgegriffen hat.

Welche Erwartungen hat er an die diesjährige Aufführung? "Ich hoffe auf mehr Interesse bei den Abgeordneten", sagt Batz: "Alle Bürgerschaftspräsidenten haben das Projekt mit großem Engagement unterstützt und getragen. Ich finde es aber schade, dass man bei der Zentralen Gedenkstunde der Bürgerschaft nur so wenige Abgeordnete sieht."

Und was treibt ihn an, sich Jahr für Jahr wieder aufs Neue diesem Thema zu stellen? "Das Hochzeitsbild meiner Eltern, das mir gezeigt hat, wie unmittelbar mich die Geschichte berührt", sagt Michael Batz spontan. Nach dem Tod seiner Mutter machte er eine merkwürdige Entdeckung. In einem Fotoalbum fand er zwei unterschiedliche Abzüge des Gruppenbildes der Kriegshochzeit seiner Eltern. "Hinter meinem Vater stand mein Onkel Hermann, den ich noch kennengelernt habe. Er trug Uniform, deren Rangabzeichen mit Tinte retuschiert waren. Ein paar Seiten weiter fand ich ein unretuschiertes Bild, das ihn als SS-Offizier zeigt."

Dokumentarstück von Michael Batz zum Holocaust-Gedenktag, 26.1. 18.00, Rathaus, Eintritt frei. 28.1., 18.00 St. Petri, Karten an der Abendkasse 4,-