“Three Kingdoms“ ist ein furioses Theaterexperiment von Regisseur Sebastian Nübling - mit deutschen, englischen und estnischen Schauspielern

Thalia-Theater. Mitunter kommen einem ferne Städte und ihre Bewohner wie Königreiche vor, die nicht nur von unterschiedlichen Herrschaftssystemen geprägt sind. Sie haben andere Strukturen und auch die Sprache funktioniert als autarkes, hermetisches System - so wie die jeweiligen Theater. Diese Erfahrung von Fremdheit durchlebt Inspektor Stone in Simon Stephens' "Three Kingdoms" (Drei Königreiche). Als aus der Themse eine Sporttasche mit einem abgesägten Frauenkopf gefischt wird, führt ihn die Suche nach der Wahrheit und einem Bösewicht mit Namen White Bird über drei Länder und am Ende in die dunkelsten Schichten seines Selbst.

Der Kopf gehört zu einer estnischen Prostituierten. Deutschland, England, Estland - auf diesem Dreiklang errichtet Autor Simon Stephens seine drei Reiche, und Regisseur Sebastian Nübling fusioniert das Ganze mit deutschen, britischen und estnischen Darstellern zu einer kunstvoll verausgabenden Körper- und Textchoreografie. Die dreieinhalbstündige Koproduktion der Münchner Kammerspiele mit dem Lyric Hammersmith Theatre London und dem Theater NO99 Tallinn sorgt seit ihrer Uraufführung für Furore. Ab heute beschert sie zwei Abende lang bei den Lessingtagen im Thalia-Theater einen frühen Höhepunkt.

Der anfängliche Krimi verwandelt sich bald in ein Roadmovie der Extremerfahrungen. Der Inspektor reist zunächst nach Deutschland, wo ihn ein teuflischer Kriminalbeamter mit den Kreisen des internationalen Menschenhandels konfrontiert. "Der Fall, den er zu lösen hat, verfolgt ihn", erzählt Sebastian Nübling. "Er sitzt ihm auf der Schulter und bringt ihn dazu, Dinge zu tun, die er normalerweise nicht tut."

"Three Kingdoms" ist das Ergebnis einer langjährigen Freundschaft von Autor und Regisseur. Fünf Uraufführungen haben sie gemeinsam erarbeitet. Nübling hat bereits 2007 Stephens' Stück "Pornographie" erfolgreich am Schauspiel Hannover und dem Schauspielhaus Hamburg zur Uraufführung gebracht. Die Inszenierung wurde zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Überhaupt ist der Regisseur im Norden kein Unbekannter. Auch die Inszenierungen "Dunkel lockende Welt" und "Die Krönung Richards III." zählen zum Profiliertesten, was an der Kirchenallee in den vergangenen Jahren zu sehen war. Nübling kreiert ein Gesamtkunstwerk aus Sprache, Bewegung, Raum und Ton. Er öffnet kluge, mitunter verstörende Assoziationsräume. "Der Abend handelt auch davon, was passiert, wenn ich mit meinem Sprachvermögen nichts mehr mitteilen kann", so Nübling. "Wie erlebe ich mich und meine Umwelt?"

Die Reise führt von Verhörverliesen über Hotelzimmer und zwielichtige Typen ins Herz der Finsternis. Der Krimi-Plot weicht im Laufe des Abends immer mehr auf. "Es geht auch um den Verlust von Klarheit. Nicht zu wissen, auf welcher Seite man steht", so Nübling. Vielleicht spielt es auch gar keine Rolle mehr, wo am Ende das Böse sitzt, wenn sich ohnehin alle moralischen Gewissheiten auflösen, das Chaos dominiert und der Inspektor im Baltikum, dem nördlichsten und östlichsten Ort, an dem er je war, die Kontrolle über das Geschehen verliert. Am Ende strandet er schlaflos in Tallinn. Ein Opfer der "weißen Nächte" um die Mittsommerzeit, in denen es nicht richtig dunkel werden will.

Die Probenarbeit war für alle Beteiligten ein Sprung ins Ungewisse. Schließlich galt es auch, drei unterschiedliche Schauspielstile in einen Abend zu integrieren. Für britische Schauspieler ist der Text alles. Sie lieben die Auseinandersetzung mit dem Autor und seinen Gedanken. Deutsche Darsteller sind gewohnt, unterschiedliche Genres zu balancieren und für einen Text auch einen physischen Kontext zu entwickeln. Und die estnischen Darsteller? Sie werfen sich mit offenem Visier in Text, Tanz oder Performance, was eben gerade anliegt.

Auch wenn es in der Aufführung um das Gefühl von Fremdheit in der Welt geht, die Zuschauer können auf eine digitale Übertitelung vertrauen. Und wenn dann noch ein knochiger junger Mann "La Paloma" singt, schrumpft die Welt in all ihrer Rätselhaftigkeit doch wieder auf wundersame Weise zusammen. Das schafft nur das Theater.

"Three Kingdoms" Fr 20.1., 19.30, Sa 21.1., 19.00, Thalia-Theater (U/S Jungfernstieg), Alstertor, Karten zu 9,50 bis 48,- unter T. 32 81 44 44 oder unter www.thalia-theater.de