Götz George spielt in der nächsten “Nachtschicht“ wieder nach seiner ganz eigenen “Partitur“. Eine Begegnung mit dem Schauspieler.

Berlin. "Kinder, ist das nich 'n bisschen groß?" Götz George blickt irritiert in einen etwa 60 Quadratmeter großen, sparsam möblierten Konferenzsaal im Berliner Hotel Kempinski. Zwei Ohrensessel, ein Tisch mit vier Stühlen, darauf ein paar Getränke. Der ansonsten weitgehend leere Raum wirkt abweisend. Gemütliche Gesprächsatmosphäre sieht anders aus, und George gilt als medienscheu. Doch zum Fürchten gibt es nichts; der Schauspieler, 73, wirkt offen und freundlich, fragt höflich, wo man denn Platz nehmen wolle. Interviews gibt er nur noch wenige, Rollen wählt er inzwischen ebenso sorgsam aus.

"Man kann froh sein, wenn man mal ein tolles Drehbuch bekommt. Wir müssen oft aus Scheiße Gold machen", sagt er. Als Erster im deutschen Fernsehen durfte er das Fäkalwort benutzen, aus dem Sprachschatz des von ihm kreierten Kommissars Schimanski ist es nicht wegzudenken. An diesem Vormittag fällt es nur einmal, seinen plakativen Satz begründet George sofort: "In Amerika werden Drehbücher auf die Topleute hingeschrieben. Das geht hier nicht, die Autoren verdienen zu wenig. Wir müssen immer schnell, schnell, schnell drehen. Wir sind, glaube ich, genauso gut wie die Amerikaner. Aber die arbeiten pfleglicher, bereiten toller vor und haben viel mehr Zeit." Einer wie George kann so ein Urteil fällen, seit fast 60 Jahren steht er vor der Kamera und hat alle Phasen des deutschen Nachkriegfilms miterlebt.

+++ Götz George ist reiner Wahnsinn als Rainer Wahnsinn +++

"Wenn ich heute etwas annehme, muss es schon sehr genau passen. Das ist das Schöne am Rentnerdasein, dass ich jetzt ohne Druck entscheiden kann", sagt er kokett. Wie ein Senior allerdings wirkt George absolut nicht. Sein Gang ist federnd, er wirkt drahtig, mindestens zehn Jahre jünger, als es in seinem Pass steht. In der "Nachtschicht"-Folge, die am Montag im ZDF läuft, spielt er den Schleuser Bruno Markowitz, der Afrikanerinnen im Lieferwagen nach Hamburg transportiert. Markowitz ist ein ehemaliger Fremdenlegionär, ein tougher Kerl, der nicht zögert, ohne Vorwarnung die Fäuste einzusetzen.

Wie für jede seiner Figuren hat Götz George sich auch für Markowitz "eine Partitur zusammengeschrieben", wie er das nennt, hat die Sprache verändert: "Leute aus der Fremdenlegion haben ein Idiom. Deshalb berlinert Bruno. Den kannst du nicht Hochdeutsch sprechen lassen. Das ist ein Proll, der sein Leben verspielt hat." Dem Hamburger Autor und Regisseur Lars Becker zollt George höchsten Respekt. Beide kennen sich aus ihren Urlaubsdomizilen auf Sardinien. "Er ist ein Schwerarbeiter, der für seine Filme brennt", sagt George.

Eine Gemeinsamkeit. "Götz George betrachtet sein Spiel physisch, ganz und gar körperlich und dabei voller Emotion. Eine Trennung von Rhythmus, Körper und Spiel ist bei ihm unmöglich. Alles wird einer präzisen Choreografie unterworfen, alles gehorcht einer genauen Psychologisierung, die nichts dem Zufall überlässt", hat der Regisseur Nico Hofmann einmal über George geschrieben, mit dem er 1999 den Kinofilm "Solo für Klarinette" gedreht hat. Diese große Schauspielkunst zeigt George auch in der "Nachtschicht"-Folge "Reise in den Tod". Er legt Markowitz als wortkarge Figur an, der Blick aus seinen blauen Augen drückt oft mehr aus als Worte. "Wenn du nicht viel Sätze hast, musst du mit anderen Mitteln arbeiten", sagt er und verfällt manchmal wie Markowitz ins Berliner Idiom, sagt "jut", "dit" oder "jeh' ick nach Hause". Auch durch diese Sprache verschafft George dieser gebrochenen Figur die Sympathien des Zuschauers.

"Film ist Lüge", sagt er. "Dafür gibt es in der Filmgeschichte unzählige Beispiele. Wie Lucky Luciano oder Bonnie und Clyde. Sie sind brutal, haben aber Humor. Ein guter Schauspieler zeigt diese Ambivalenz und packt sie in die Rolle. Das liegt in unserer Hand oder in der des Regisseurs oder Autors. Du musst einen Charakter schaffen."

Immer noch denken viele Fernsehzuschauer bei George an Schimanski, diesen ruppigen "Tatort"-Kommissar, der so sehr zu einer Kultfigur geworden ist, dass George auf der Straße mit dem Namen des Polizisten angesprochen wurde. Doch in vielen Fernsehspielen hat er sich weit von den Männerklischees dieser Figur entfernt. Wie 2003, als er in "Mein Vater" die Rolle eines Alzheimerkranken spielte, was ihm auch damals herausragende Kritiken bescherte. Die er im Übrigen nicht liest. "Ich gebe mir meine eigenen Noten."

Helden habe er nie versucht zu spielen. "Die Figuren waren immer gebrochen. Figuren brauchen Drehmomente. Wie in einer Teigmaschine. Das muss immer umgedreht und umgerührt werden. Sonst werden Figuren langweilig." Vor allem im Kino hat der Schauspieler schwierige Parts übernommen. In Theodor Kotullas Film "Aus einem deutschen Leben" verkörperte er den Auschwitz-Kommandanten Höß, in "Nichts als die Wahrheit" den Nazi-Arzt Josef Mengele und in Romuald Karmakars "Der Totmacher" den Serienmörder Haarmann. "Ich habe diese Rollen gerne gespielt", sagt er, als wäre es das Einfachste der Welt, sich in einen Massenmörder hineinzuversetzen. "Das sind ja Mischfiguren", erklärt George. "Höß zum Beispiel ist auch ein ganz umgänglicher Typ mit Humor. Man irritiert den Zuschauer und leitet ihn auf eine falsche Fährte. Das muss man natürlich wieder auflösen."

Auch über die Darstellung von Adolf Hitler hat er zusammen mit dem Schriftsteller Leon de Winter nachgedacht. "Hitler ist ja eigentlich eine Karikatur und wird es immer bleiben. Im ,Untergang' hat Bruno Ganz das ganz schön umgesetzt. De Winter wollte Hitler zeigen, wie der vier bis fünf Stunden auf seine Umgebung eingeredet hat. Das war auch eine Seite von ihm, und man hätte ihn ernst spielen können. Aber wer will sich so was ansehen?"

Nach einer Stunde gibt die Pressefrau ein Zeichen. "Wenn Journalisten nett sind, sehe ich sie immer wieder. Aber viele waren nicht so nett", lacht Götz George. "Ich mach mir erst mal einen Kaffee", sagt er und macht sich an der Espressomaschine zu schaffen. "Wollen Sie einen mit auf dem Weg?"

"Reise in den Tod" Mo 16.1., 20.15 ZDF